Warum wir alle Priester:innen sind

Predigt von P. Max Cappabianca OP

KSG Berlin 7. Mai 2023

Lesung 1 Petr 2, 4–9

Was ist eigentlich ein Priester oder eine Priesterin? Wie versteht der christliche Glaube dieses religiöse Amt und warum glauben wir, dass alle Getauften Priesterinnen und Priester sind? Es geht darum, dass jeder und jede von uns für andere zu einem Weg zu Gott werden kann!

Liebe Schwestern und Brüder,

ich weiß nicht, wer von euch gestern die Krönung von Charles III. im Fernsehen gesehen hat, aber das war ganz großes Kino. Ich war überrascht, wie sakral die Zeremonie war. Ich hätte gedacht, dass der wichtigste Ritus die Krönung ist! Aber wer gestern zugeschaut hat, der weiß: Es war die Salbung!

Charles musste alle Kleider ablegen und stand da in einem weißen Hemd, das einerseits wie das „letzte Hemd“ wirkte, aller Pracht und Fülle entledigt, das aber andererseits an das weiße Taufkleid erinnert, mit dem ausgedrückt wird, dass wir in der Taufe neu geborgen werden.

Der eigentliche Moment war den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Hinter einem Wandschirm wurde Charles mit heiligem Chrisam vom Ölberg in Jerusalem gesalbt – dasselbe Öl, das wir in der katholischen Kirche nutzen bei der Taufe, Firmung und Priester- und Bischofsweihen.

Als Charles dann noch – unter den Klängen von Händels „Zadok the Priest“ – ihm eine goldene Stola umgezogen wurde, da dachte ich mir: Jetzt ist er wirklich Priester geworden. In dem Begleitheft zur Krönungsfeier stand denn auch: “The Anointing is the most sacred part of the service… It is The King’s only moment of privacy during the Service, as he contemplates how he is called by God.”

Ist das nicht alles Schnee von gestern? Überbleibsel eines sakral überhöhten Königsverständnisses von Gottes Gnaden? An dem auch die interreligiösen Momente in der Feier nicht wirklich etwas ändern?

Die Antwort auf die Frage überlasse ich euch! Ich bin jedenfalls gespannt. Angeblich wollen nur noch ein Drittel der jüngeren Briten die Monarchie beibehalten. Vielleicht war gestern das letzte Mal, dass wir so eine sakramentale Königssalbung erleben konnten…

Archaische Vorstellungen

Unser Thema ist „Warum wir alle Priester*innen sind“ – und das bezieht sich auf die Lesung im ersten Petrusbrief, die wir heute gehört haben. Da heißt es feierlich: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat.“ (1 Petr 2,9)

Hinter all dem stehen Vorstellungen, die uns heute nur noch wenig geläufig sind und die ein religiöses Weltbild voraussetzen. Erst einmal grundsätzlich: Was ist eigentlich – religionsgeschichtlich gesehen – ein Priester oder eine Priesterin? Ein Mensch, der eine besondere Vollmacht hat. Aufgrund dieser Vollmacht kann der/die Priester*in eine besondere Verbindung herstellen zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre.

Dahinter steckt die Vorstellung, dass unsere Welt hier und die göttliche Ebene erst einmal nicht überwunden werden kann, was ja logisch nachvollziehbar ist. Alles, was irdisch und begrenzt ist, kann nicht göttlich sein! Allerdings erwachte dann bald das Bedürfnis, Verbindung zu der göttlichen Ebene zu schaffen. Das nennen wir „Mittlertum“ und ist der Kern Priestertums in allen Religionen.

Wurzeln im Alten Testament

Im Alten Testament gab es einen eigenen Priesterstand, der den Opferdienst am Tempel versah. Religionsgeschichtlich dienen die Opfer dazu, sich „mit Gott gut zu stellen“. Im antiken Israel gab es den Hohenpriester. Er war der Einzige, der einmal im Jahr zu Jom Kippur (Versöhnungstag) das Allerheiligste des Tempels betreten durfte. Dort empfing er stellvertretend für das Volk die Vergebung Gottes.

All diese Vorstellungen prägen das biblische Zeugnis von Jesus Christus. Die frühe Kirche versuchte zu verstehen, was Jesus als Sohn Gottes eigentlich getan hat. Und da wurde das Bild vom Priester aufgegriffen. Sein Tod am Kreuz wurde verstanden als nicht überbietbares priesterliches Opfer! Denn Gott selbst opfert sich für die Welt. Und die Idee dabei ist: Es gibt nun keine unüberwindliche Mauer mehr zwischen Menschlichem und Göttlichen. Sondern durch Jesus Christus steht uns sozusagen das Tor zum Himmel offen!

All diese Ideen spiegeln sich in den Lesungen und Gebetstexten wider, die wir in der Osterzeit hören. Vielleicht erinnert ihr euch an die Passionsgeschichte: In dem Moment, in dem Christus stirbt, reißt im Tempel der Vorhang entzwei, der das Allerheiligste vom Rest des Tempels trennte. Die Vorstellung dabei: Es gibt keine Trennung mehr. Durch Jesus steht uns der Himmel offen!

Und genau da setzt dann die Idee des Allgemeinen Priestertums an: Weil Jesus Christus ein für alle Mal die Barriere zwischen Gott und den Menschen niedergerissen hat, kann es auch keine neuen Opfer mehr geben. Christus ist der Priester schlechthin, der uns Menschen sozusagen „mitnimmt“ vor Gott. Und wenn es nun keine neuen Opfer mehr braucht, dann braucht es auch keine Priester oder Priesterinnen. Alles Entscheidende liegt in der Taufe begründet, in der wir eins werden mit Christus.

Eine priesterliche Salbung bei der Taufe

Bei der Taufe wird die Brust des Täuflings mit Chrisam gesalbt.  Dabei spricht der Taufende: „Aufgenommen in das Volk Gottes wirst du nun mit dem heiligen Chrisam gesalbt, damit du für immer Christus verbunden bleibst, der Priester ist, König und Prophet in Ewigkeit.

Für uns ist also allein Christus Priester! Und wir alle haben durch die Taufe Anteil an seinem Priestertum.

Nun stellt ihr zurecht die Frage: Wozu gibt es dann überhaupt dann noch geweihte Priester?

Nach katholischem Verständnis ist das Weihepriestertum anders zu verstehen als das Priesteramt Jesu Christi. Er hat alles gemacht. Ich brauche keine neuen Opfer darzubringen. Das Priesteramt nach katholischem Verständnis ist ein Dienstamt. Es dient dem Volk Gottes als Ganzes, das die eigentliche Priesterwürde innehat.

Ihr wisst, dass die evangelische Theologie nicht an ein Amtspriestertum „glaubt“, und deswegen werden die Pfarrer dort ordiniert, aber nicht geweiht. Damit betonen sie stärker als wir Katholik*innen das Allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Die Katholiken glauben, dass es das Dienstamt notwendig braucht, weil die Kirche sakramental ist. Gottes Heil kann man sich nicht selber geben, sondern es muss einem zugesprochen werden – in Wort und Sakrament, und deswegen braucht es Priester*innen. Sie handeln an Christi statt und machen Gottes Zuwendung erfahrbar.

Was bleibt dann vom Allgemeinen Priestertum übrig?

Wie gesagt: Dass Entscheidende! Nämlich, dass Gott durch Jesus Christus die Mauer zwischen Himmel und Erde niedergerissen hat. Dass man nun nicht mehr zwischen Sakralem und Irdischem trennen kann. Das Großartige an der Vorstellung ist nicht nur, dass man Gott in allen Dingen finden kann, wie es die ignatianische Spiritualität formuliert! Wir alle können aneinander priesterlich wirken, indem ich für meinen Mitmenschen den Weg zu Gott öffne.

Das geschieht zum Beispiel, wenn wir für andere beten. Warum ist es so wichtig, dass wir im Gottesdienst Fürbitten halten? Weil wir da das Allgemeine Priestertum aller Gläubigen ausüben. Wie der Hohepriester im Alten Testament bringen wir die Bitten und Sorgen der Menschen vor Gott und wissen, dass Gott auf uns hört, weil wir getauft sind.

Aber nicht nur beim Beten! Wir alle haben die Fähigkeit, für andere Gottes Liebe „sakramental“ erfahrbar zu machen. Zum einen durch unser gutes Wort: Das kann ein Trostwort sein oder indem ich meinem Mitmenschen helfe, Gottes Gegenwart in seinem Leben zu entdecken. Oder durch unsere gute Tat! Indem ich handle und anderen Gutes tu, mache ich Gottes Liebe in dieser Welt gegenwärtig. Und das ist – in christlicher Perspektive – priesterlich.

Eine weitere schöne Tradition, wo das Priesterliche aller Getauften erfahrbar wird, ist das Segnen. Jede*r kann segnen. In diesem Moment spreche ich dem oder der Nächsten Gottes liebende Zuwendung zu. Es kann im Glauben nichts Wichtigeres geben!

Ich gebe zu, das waren jetzt theologische Höhenflüge, die schwer nachvollziehbar sind, wenn man nicht gläubig ist und die ganzen Vorstellungen dahinter nicht kennt!

Wie der Schreiber des ersten Petrusbriefs möchte ich euch heute Mut machen, zu erkennen, zu was uns unser Glaube an Jesus Christus ermächtigt: Für andere Menschen ein Weg zu Gott zu werden. Ich finde es kann nichts Großartigeres und Erfüllenderes geben als das.