Glaube und Zweifel – Studentische Predigt von Georg
Warum zum Glauben der Zweifel gehört, darüber macht sich Georg in seiner studentischen Predigt Gedanken. Der Glaube vermittelt ein unbedingtes Getragensein. Dadurch seien die Menschen dem Zweifel nicht schutzlos ausgeliefert. Darauf könne man vertrauen. Und dieses Vertrauen gebe den Menschen den Rückhalt, kritisch um die richtigen Antworten ringen zu können.
Liebe Gemeinde,
vielleicht stell ich mich erstmal kurz vor: Ich heiße Georg, bin 22 Jahre alt und studiere Physik. Eigentlich ist das lustig, dass man sich als Student immer erstmal so vorstellt: “Name-Alter und dann noch das Studienfach”. Das klingt immer, als wär das Fach, das man sich gesucht hat, genauso wichtig wie der eigene Name und das Alter. Als würde man dadurch den eigenen Charakter kurz einordnen wollen.
Ich denke, dass viele Studierende sich zu Beginn des Studiums einen gewissen “Berufsstolz” antrainieren. Man identifiziert sich dann gerne mit dem eigenen Studienfach: Man mag das, was man lernt. Man freut sich über die Fähigkeiten, die man erwirbt. Und auch darüber, dass man andere Schwerpunkte setzt als andere Studierende. Mir zumindest geht das so. In der Physik z.B. erfreut man sich daran, dass man streng ist. Nicht ganz so erbarmungslos streng wie Mathematiker*innen, aber doch immer sehr kritisch. Es gibt kein freundschaftliches Vertrauen, wenn jemand seine oder ihre Rechnung vorstellt.
Klassischerweise fangen bei uns in der Vorlesung die wirklich schlauen Studierenden irgendwann an, die mathematischen Umformungen an der Tafel nachzurechnen. Noch während der Dozent oder die Dozentin vorträgt, wollen sie wirklich im Detail überprüfen, ob das alles so stimmt. Manchmal finden sie dann ein fehlendes Vorzeichen oder irgendwelche falschen Indices und teilen das dann zufrieden mit.
Ich denke, es gehört ein bisschen zum Fach, dass man an alles eine gewisse Grundskepsis heranträgt. Da fallen dann so Sätze wie:
“Gibt es hier nicht eigentlich einen Widerspruch zu dem Ergebnis aus der letzten Vorlesung?”
“Wieso darf man da denn überhaupt diese Näherung machen?”
“Und dort in Zeile 15. Müsste man diese eine Aussage nicht erst noch beweisen?”
Diese Einstellung ist vor allem auch notwendig, wenn man die eigenen Lösungen betrachtet. Ohne dieses Zweifeln an Schlussfolgerungen gibt man sich mit falschen Antworten zufrieden, die nur oberflächlich richtig erscheinen.
Man macht es sich zu einfach, wenn man nicht zweifelt.
Mir gefällt diese Herangehensweise sehr, diese Grundskepsis. Ich mag den Gedanken, dass man keiner Autorität und auch nicht sich selbst einen Vertrauensvorschuss gönnt. Dass das Zweifeln zum Denken dazugehört.
Aber manchmal unterhalte ich mich mit Kommiliton*innen und habe das Gefühl, dass diese Skepsis noch viel weiter reicht. Dass sie auch auf Themenfelder angewandt wird, die weit von Naturwissenschaften entfernt liegen. Beispielsweise treffe ich manchmal auf Unverständnis, wenn ich erzähle, dass ich katholisch bin.
Beim Smalltalken auf einer Feier, hat mir ein Kommilitone mal dargelegt, weshalb er nicht gläubig ist. Er meinte, er würde keinen Aussagen zustimmen wollen, die er nicht beweisen kann. Theologische Aussagen sind aus dieser Perspektive ziemlich dramatisch: Sie sind nicht mit dem Ziel formuliert, beweisbar oder widerlegbar zu sein.
Die Zielsetzung meines Kommilitonen hat etwas sehr Verlockendes. Ab und zu bemerke ich, wie ich dieses Argument selber anwende. Zwar nicht so im Grundsatz meines Glaubens, aber doch öfter ‘mal wenn ich über Religion nachdenke. Oder wenn ich dabei zuhören darf ,wie andere über Religion nachdenken.
Ich sitze dann in der Kirche, höre eine Predigt. Und dann denke ich mir, “Na das ist aber jetzt nicht so richtig stichhaltig begründet.” oder auch „Das ist ja gerade total subjektiv! Wie kann ein Argument denn überhaupt so richtig tragen, wenn es sich auf subjektives Empfinden stützt?“
Manchmal frage ich mich dann: „Wie kann ich mich durch ein Argument überzeugen lassen, wenn ich das gar nicht objektiv überprüfen kann.“ oder vielleicht sogar: „Was hält mein Glaube überhaupt aus, wenn ich ihn nicht ganz und gar überzeugend begründen kann.“
Und ein bisschen so stelle ich mir den Thomas aus dem Evangelium vor. Etwas überspitzt, könnte er sagen: “Wie Auferstehung? So richtig? Wieso soll ich ihm das glauben? Das möcht ich irgendwie nachprüfen, irgendwie fassen können.”
Für mich hat dieser Auszug aus dem Johannesevangelium etwas sehr Tröstliches. Thomas war als Apostel ganz nah am Wirken Jesu dran. Er hat alles, was wir nach 2000 Jahren glauben, direkt und unmittelbar erlebt. Wenn selbst er Zweifel hat, wieso sollen wir dann nicht auch zweifeln dürfen? Das ist kein Evangelium, das uns unsere Fehler und unsere Beschränktheit von oben herab vorwirft. Es ist ein Evangelium auf Augenhöhe, das nicht beschönigt, sondern uns mit unseren Schwächen annimmt. Für mein Selbstverständnis als Christ ist das ganz zentral: Ich darf zweifeln. Das gehört zum Glauben dazu. Deswegen heißt es ja auch Glauben und nicht Wissen.
Vielleicht kann man hier noch eine Überlegung hinzufügen. Zweifel und Skepsis ist etwas ganz Menschliches – aber eben nicht im Sinne einer Unvollkommenheit. Gott hat uns Menschen mit freiem Willen geschaffen. Und dieser freie Wille soll benutzt werden, mit allem, was dazugehört. Mit allen Fragen, allem Hinterfragen und eben auch mit Zweifeln.
Ich bin überzeugt, dass Zweifel zu einer ungemein starken Triebfeder werden kann. Er kann uns wachhalten, uns nicht mit vorläufigen Antworten zufrieden zu geben. Wo wäre die Menschheit, und vor allem auch die Christenheit, wenn nie jemand gezweifelt hätte? Wenn nie jemand aus starkem inneren Antrieb gesagt hätte: „Ganz so wie es jetzt ist, soll es doch wohl auch nicht sein!“
Ein beeindruckendes Beispiel für so einen produktiven Zweifel sind für mich die vielen Laien und Geistlichen, die sich kritisch für die Kirche einsetzen. Die offen ihren Zweifel an Lehrmeinungen zum Ausdruck bringen. Sie tun das nicht, weil sie ihren Glauben hinterfragen. Sie tun es, weil Sie Angst haben, an einer Institution zu verzweifeln, die diesen Glauben mittragen muss. Sie zweifeln, weil die Kirche ihnen viel bedeutet. Weil sie ihnen eben nicht egal ist.
Zweifel oder Kritik kann also auch ein Ausdruck von Zugewandtheit und Nähe sein. Mit der Kirche ist das ein bisschen wie bei menschlichen Beziehungen: Nur, was einem völlig egal ist, hinterfragt man nicht mehr. Wenn einem etwas am Herzen liegt, dann kann man zweifeln. Diesen Zweifel kann man der Kirche zumuten. Dieser Zweifel kann uns als Gemeinschaft von Gläubigen voranbringen.
Man muss hier aufpassen, dass man es sich mit dem Begriff nicht zu leicht macht. Es gibt schwere Krisen. Das sind dann Situationen, in denen man dem Zweifel nichts Konstruktives abgewinnen kann. Wenn ein Mensch auf einer ganz grundlegenden Ebene Zweifel empfindet, kann man das nicht poetisch umdeuten. Man wird dem Menschen nicht gerecht, wenn man diesen Zustand irgendwie verklärt. Es liegt eine Last auf dem Zweifelnden, die ist sehr real und die hat nichts Erbauliches.
Das ist hart, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber gerade in diesen ganz dunklen Momenten ist Gott bei uns. Für mich ist das ein ganz zentraler Glaubensgrundsatz. Wir sind in den wirklich schwierigen Momenten nicht allein gelassen. Es gibt da ein Netz, das fängt uns auf. Vielleicht ist es manchmal nicht offensichtlich oder erst im Nachhinein erkennbar. Aber wir sind in diesen Situationen getragen.
Das soll nicht heißen, dass das ursprüngliche Problem verschwindet oder sich dadurch alles ganz toll anfühlt. Die Krise bleibt eine Krise. Aber es ist ganz wichtig zu wissen, dass man sie nicht alleine bestehen muss. Man muss nicht alles allein aus eigener Kraft lösen können.
Dieses unbedingte Getragensein ist das große Geschenk, das Gott den Menschen macht. Wir sind dem Zweifel nicht schutzlos ausgeliefert. Darauf können wir Vertrauen. Und dieses Vertrauen gibt uns den Rückhalt, kritisch um die richtigen Antworten ringen zu können. Amen.