Guardini-Predigt

Guardini-Predigt, 19.11.2023
P. Max Cappabianca OP, gehalten in der Katholische Akademie

Lesung
aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalónich.

Über Zeiten und Stunden, Schwestern und Brüder,
brauche ich euch nicht zu schreiben.
Ihr selbst wisst genau,
dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!,
kommt plötzlich Verderben über sie
wie die Wehen über eine schwangere Frau
und es gibt kein Entrinnen.
Ihr aber, Brüder und Schwestern, lebt nicht im Finstern,
sodass euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann.

Ihr alle seid Söhne des Lichts
und Söhne des Tages.
Wir gehören nicht der Nacht
und nicht der Finsternis.
Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen,
sondern wach und nüchtern sein.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Die Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalónich hat mich immer schon fasziniert. Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht! Was bedeutet das? Das Reich Gottes kommt unvorhergesehen? Gar traumatisierend – und das sind Erfahrungen mit Dieben! Also nichts Gutes verheißend? Auf alle Fälle wohl unkontrollierbar. Und letztlich kriminell! So ist das Kommen des Reiches Gottes?

Diese Bilder irritieren. Und das ist beabsichtigt. Unser Erwartungshorizont soll durchbrochen werden. Wir gehen dann auf dünnem Eis. Was bedeutet das für uns? Der Kern ist, dass wir nicht wissen, was dann kommt und wie es sein wird. Gottes Kommen und – dann – seine Gegenwart sind anders als wir es erwarten.

Damit wir nicht so überrumpelt und erschreckt werden, wie von einem Dieb in der Nacht, rät Paulus, nicht im Finstern zu leben. Sondern als Söhne und Töchter des Lichtes und des Tages. Und vor allem eins rät er, wach zu bleiben: „Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.“

Auch das ein eigenartiges Bild. Was meint das denn? Ist das etwas, was man heute modisch als „Achtsamkeit“ bezeichnen würde? Eine Offenheit für Dinge, die allzu leicht übersehen zu werden drohen?

Aus meinem Liturgiestudium weiß ich noch, dass aus Textstellen wie diesen und anderen, die zum Wachen und Beten auffordern, das monastische Lebensmodell entstanden ist – eine besondere Form des Christseins, das für sich in Anspruch nimmt, stellvertretend für die Welt das Gebot des Wachens und Betens zu übernehmen.

Der Kern des klösterlichen Lebens ist das Wachen und Erwarten. Symbolisiert wird dies durch die langen Gebete, vor allen Dingen den nächtlichen, die mit ihren Psalmen und Hymnen nicht zu enden scheinen. Mönchisches Leben ist ein Leben des Wachens und Betens. Eine Kultur der Erwartung, die weiß, dass das Hier und Jetzt nur das Vorletzte ist…

Ich bin sicher, dass einige von Ihnen das Gedicht der Poetin Silja Walter kennen. Sie war Benediktinerin in der Schweiz und hat einen Text geschrieben mit dem Titel „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“. Ich möchte es am Ende dieser Predigt vortragen, denn bei ihr wird diese Erwartung spürbar. Es pulsiert eine echte Beziehung zwischen der Schwester zu einem Gott, den sie vermisst. Der aber kommen wird. Nur halt ganz anders als gedacht.

Für mich hat diese Lesung aus dem Buch der Thessalonicher in diesen letzten Wochen und Monaten noch einmal eine ganz andere Bedeutung und Dringlichkeit gewonnen. Jüngst ist die Studie der Evangelischen und Katholischen Kirche publiziert werden, die in erschreckenderweise den Bedeutungsverlust und die Erosion des kirchlichen Lebens dokumentiert.

Aber auch in meinem Alltag erlebe ich es ständig, als Repräsentant dieser Institution Kirche auf einem sinkenden Schiff zu sein. Ich muss laufend rechtfertigen, warum ich denn noch dabei bin. Es wird vorausgesetzt, dass in dieser Institution gelogen wird und vertuscht. In den Augen vieler bin ich im besten Fall noch (!) gefangen im Netz einer menschenfeindlichen Institution, dem man wünscht, sich bald zu befreien. Im schlechtesten Fall ist man selber nicht nur Teil der „Täterinstitution“ (ein schreckliches Wort), sondern Täter (und wenn es durch Unterlassung ist!

Ich ertrage es oft nicht mehr! Wie die Freude des Evangeliums verkünden, wenn wir als Katholische Kirche derart im Morast stecken? Wie soll ich begeistern können, wenn man Mitleid auf mich schaut? Wie mit Freude die Verkündigung des Evangeliums anpacken, wenn keiner die Botschaft hören will?

Nun kann man sich ja auf vielfältige Weise einen spirituellen Reim darauf machen. Eine Hiobzeit für die Kirche? Notwendige Geburtswehen könnte man aus unserem Lesungstext ableiten: Ich zitiere: Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau und es gibt kein Entrinnen.

Und mit der Formulierung „einen spirituellen Reim darauf machen“ hören sie zurecht, die Selbstironie und Selbstkritik heraus. Im Glauben kann man sich vieles schönreden oder schöntrinken. Aber die Realität bleibt hässlich.

Früher war ich ein extrem, positiver zuversichtlicher Mensch. Und das prädestinierte mich als Dominikaner, der wie ja ein Orden der Verkündigung sind. Heute bin ich skeptischer und trau meinen eigenen Glaubensimpulsen nicht mehr. Ich will mir nichts vormachen. Ich will das Kaputte auch mitten in unseren kirchlichen Reihen aushalten und nicht gleich einen positiven Zweck daraus ableiten, wie es gläubige Menschen nun mal tun.

Ihr selbst wisst genau,
dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!,
kommt plötzlich Verderben über sie
wie die Wehen über eine schwangere Frau
und es gibt kein Entrinnen.

Für mich haben diese Zeilen eine echte Aktualität. Und die „Tröstung“, die der Glaube uns in dieser Situation schenken kann, ist kein warmes Wohlgefühl, sondern maximal die Aufforderung, nüchtern zu bleiben und mehr zu erwarten als das Hier und Jetzt. Zu warten, dass da noch mehr kommt, auch wenn wir keinerlei Vorstellung haben, wie das aussehen wird.

Ist das dann ein geläuterter Glaube? Oder ein verzweifelter? Ich selber oszilliere zwischen diesen beiden Polen. Und ich könnte mir vorstellen, dass es manchen von Ihnen ähnlich geht.

Ich bin Dominikaner und Teil unseres Lebens ist das gemeinsame Chorgebet (im Institut Chenu nicht gemeinsam, aber das ist eine Ausnahme). Wir beten Tag für Tag die Psalmen, Hymnen und Lesungen – und ich verstehe das als Ausdruck unruhigen Erwartens, dass es mit dem Glauben und der Kirche und überhaupt unserer Welt, die zerrissen ist von Krieg und Ungerechtigkeit, verdammt noch mal so nicht weitergehen kann.

Am Schluss trotzdem eine versöhnliche Kurve: Wenn ich die Psalmen bete, bin ich immer wieder zutiefst erschüttert über die Glaubenskraft, die aus Ihnen pulsiert. Das bringt etwas in mir in Schwingen. Und so ähnlich geht es mir mit dem Gedicht von Silja Walters. Wissend um die Gefahr, dass das zu einer spirituellen rosa Brille wird. Und doch spürend, dass da etwas lebendig ist. Das da ein Herz schlägt.

Mögen Ihnen da Gedicht von Silja Walter, grade angesichts der Situation, in der die Kirche ist, oder auch Länder wie Israel, Palästina und Ukraine oder auch ganz persönliche Umstände, die es einem schwer machen, Zuversicht zu haben… Doch eine Perspektive eröffnen.

In diese, meine Welt hinein, soll das Gedicht von Silja Walter sprechen. Zeilen, in denen sich ganz nüchtern Hoffnung und echte Erwartung spiegeln.

 

Gebet des Klosters am Rande der Stadt

 

Jemand muß zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muß dich erwarten,
oben auf dem Berg
vor der Stadt.

Jemand muß nach dir Ausschau halten
Tag und Nacht.
Wer weiß denn, wann du kommst?

Jemand muß wachen
unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden,
Herr,
du kommst ja doch in der Nacht
wie ein Dieb.

Wachen ist unser Dienst,
wachen.
Auch für die Welt.
Sie ist so leichtsinnig,
läuft draußen herum
und nachts ist sie auch nicht
zuhause.
Denkt sie daran,
daß du kommst?
Daß du ihr Herr bist
und sicher kommst?

Herr,
durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, täten wir sonst?

Wir bleiben, weil wir glauben.
Zu glauben und zu bleiben
sind wir da –
draußen
am Rande der Stadt.

Herr,
jemand muß dich aushalten,
dich ertragen,
ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinem Kommen
zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod mitaushalten
und daraus leben.
Das muß immer jemand tun
mit allen anderen.
Und für sie.

Und jemand muß singen,
Herr,
wenn du kommst,
das ist unser Dienst:
Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust,
die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist
und wunderbar wie keiner.

Silja Walter