Studium und Glaube?!

Ein Studium stellt auch den Glauben von Menschen vor neue Herausforderung. Deswegen gehört die Feier von Gottesdiensten, das gemeinsame Fragen und Suchen nach Gott und die intellektuelle Rechtfertigung unseres Glaubens zu den Kernelementen unseres Gemeindelebens.

Kernprofil des Christentums: “Versöhnung”

Predigt von P. Thomas Eggensperger OP  in der KSG Berlin am 17.09.2023

 

Lesung: Sir 27, 30 – 28,7

Evangelium: Mt 18, 21-35

(24. Sonntag im Jk)

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Es ist evident, dass das Phänomen der „Versöhnung“ für das christliche Leben zentral ist. Vor allem die jüdisch-christliche Tradition kann sich zugutehalten, diese Kategorie in die Kultur- und Geistesgeschichte eingebracht zu haben. Wenn es ein wirkliches Spezifikum christlicher Religion geben sollte, etwas, was sie von anderen Religionen wesentlich unterscheidet, dann ist es wohl u.a. das Ereignis der Versöhnung.

Nicht, dass es Versöhnung und die entsprechende Beziehung zu Schuld und Sünde religionsgeschichtlich nirgendwo anders gegeben hätte, aber in der Ausprägung dessen, was heute unter ihr verstanden wird, war das christliche Verständnis das nachhaltigste. Die Schriften des Alten und Neuen Bundes sind voll von Geschichten der Versöhnung.

Über Versöhnung haben bereits viele bedeutende Denker, Philosophen, Theologen und Künstler nachgedacht. Heute möchte ich auf eine Frau eingehen, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Ich spreche von Hannah Arendt.[1] Sie ist eine der bedeutenden deutschen Philosophinnen, die wegen ihrer jüdischen Abstammung in die USA emigrierte und dort Karriere machte zunächst als Journalistin, dann als Forscherin für Politische Theorie in Chicago und New York, bis sie dann 1975 starb.

Hannah Arendt hat ein Buch geschrieben, welches über das menschliche Handeln nachdenkt. Der Titel des Buches lautet auf Deutsch: „Vita Activa oder vom Tätigen Leben“ und versucht das Handeln des Menschen als Einzelnem, aber auch als ein Teil der Gesellschaft zu umschreiben. Es führt zu weit, dieses Buch an dieser Stelle zu präsentieren, sondern ich möchte nur auf ein einziges Kapitel in dem Werk eingehen, das die „Versöhnung“ zum Thema hat.[2]

Das Buch – erschienen übrigens 1958 – geht aus von der Freiheit des Menschen mit der Konsequenz, dass er für alles, was er tut, verantwortlich ist. Arendt benennt dabei zwei Weisen der Freiheit: Zum einen die so genannte metaphysische Freiheit, die jedem von Anbeginn gegeben ist, und zum anderen die politische Freiheit, die allerdings erst zu entwickeln ist und um die der Mensch ringen muss. Politische Freiheit kann aber nicht im privaten, sondern nur im politischen Bereich erfahren werden, nämlich in der Teilnahme am politischen Geschehen des eigenen Gemeinwesens.

Das Kapitel 33, das überschrieben ist mit „Die Unwiderruflichkeit des Getanen und die Macht zu verzeihen“,[3] diskutiert das Phänomen des Verzeihens im Kontext des handelnden und freien Menschen:

„Das Heilmittel … dagegen, dass man Getanes nicht rückgängig machen kann, obwohl man nicht wusste, und nicht wissen konnte, was man tat – liegt in der menschlichen Fähigkeit zu verzeihen.“[4]

Dies ist zu präzisieren: Die eigene Erfahrung, dass Verzeihung gewährt wird bzw. Versprechen gehalten werden, ist Voraussetzung dafür, dass jemand sich selbst verzeihen bzw. etwas halten kann.

Nach Arendt zeigt sich, wie viel Macht dem Menschen eigen ist im Vermögen zum Handeln, wenn man sich vor Augen hält, wie zerstörerisch eine Situation ohne Handeln wäre.

Arendt weist ausdrücklich darauf hin, dass es Jesus von Nazareth war, der als erstes die Bedeutung von Verzeihen im Bereich des Menschlichen gesehen hat. Zumindest sieht sie keine vergleichbaren Traditionen, wenn man einmal vom römischen Prinzip der Schonung des Besiegten (parcere subiectis) oder dem Begnadigungsrecht absieht.

Der entscheidende Punkt ist, dass Gott erst vergeben kann, wenn die Menschen sich dazu aufgerafft haben, zu vergeben. Fehlverhalten ist ein alltägliches Vorkommnis menschlichen Handelns, aber es bedarf gemäß dem Evangelium der jeweiligen Verzeihung. Im Gegensatz zur Rache ist Verzeihung per se unerwartet und unberechenbar.

Böse Taten sind Untaten, weil sie den zwischenmenschlichen Machtbereich zerstört. Arendt betont, dass das Vergeben sich nicht auf eine Sache, sondern auf eine Person bezieht. Verzeiht man dem Übeltäter, verzeiht man ihm zwar, aber das begangene Unrecht bleibt weiterhin Unrecht.

Im Politischen ist das Verzeihen ihrer Meinung nach unter anderem deshalb niemals ernst genommen worden, weil es aus dem benannten religiösen Kontext entstammt und vom Phänomen der Liebe abhängig gemacht wurde.

Arendt bezieht sich dabei sowohl auf das Liebesgebot Jesu bei der Begegnung mit der Sünderin („Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, weil sie viel geliebt hat, Lk 7, 47) als auch auf die unendliche Macht von wahrer Liebe, die verzeiht, weil der oder die Liebende „mit Blindheit geschlagen“ ist hinsichtlich der Vorzüge und Mängel des oder der Anderen.

Allerdings stimmt Arendt der Einschätzung nicht zu, dass ausschließlich die Liebe verzeihen kann, wie es ihrer Meinung nach im Christentum behauptet wird. Dafür ist ihr die Liebe eine zu eng geführte Vorstellung, die sie zu erweitern sucht. Deshalb schlägt sie als Alternative den „Respekt“ vor, weil er zum einen bedeutet, die Person zu achten (wenngleich ohne der Intimität von Liebe) und zum anderen, sie zu respektieren unabhängig von der jeweiligen Eigenschaft der Person.

„Jedenfalls bildet Respekt durchaus einen hinreichenden Beweggrund, jemanden das, was er getan hat, zu vergeben, um dessentwillen, der er ist.“[5]

Die pessimistische Vermutung Arendts aus den ausgehenden fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, dass das Verzeihen im Politischen nicht ernst genommen wird, darf man heute relativieren. Die Philosophin behauptet auch nicht, dass es so etwas nie gegeben habe, aber sie konzediert, dass die entsprechenden Versuche nicht konsequent oder nachhaltig genug waren. Dennoch ist Versöhnung, wie bereits dargestellt, inzwischen eine aktuelle Komponente sowohl des politischen Alltagsgeschäftes als auch der philosophisch-politischen Theorie. Die politische Versöhnungsarbeit von heute wird geleistet auf unterschiedlichen Niveaus und in mehreren Etappen.

Neben dem Versuch der Aufdeckung von Wahrheit (z.B. in Wahrheitskommissionen), der Suche nach Gerechtigkeit (Strafgerechtigkeit als restaurative Gerechtigkeit) steht die Versöhnung. So existiert heute neben der theologischen Komponente von Versöhnung eine philosophisch-politische, die ihren Grund in der Theologie hat, aber inzwischen gleichberechtigt neben ihr steht.

Versöhnung – auch im politischen und gesellschaftlichen Bereich – ist ein hohes Gut und es braucht erst einmal die Voraussetzungen dafür. Wenn wir uns das am Beispiel des Ukraine-Kriegs anschauen, dann merken wir schnell, wie viel es braucht an Grundlagen, um überhaupt über Vergeben und Versöhnen zu reden.

Ich denke, dass die Denkerin Hannah Arendt viel dazu beigesteuert hat, die Versöhnung als zentralen Punkt christlicher Religion wahrzunehmen. Man sollte ihr dankbar sein.

Amen.

 

Thomas Eggensperger OP

 

[1] Folgende Ausführungen entnehme ich: Thomas Eggensperger, Die Macht zu verzeihen. Versöhnung als Aufgabe der politischen Philosophie, in: Alessandro Cortesi / Thomas Eggensperger / Ulrich Engel (Hrsg.), Versöhnung. Theologie – Philosophie – Politik. Riconciliazione. Teologia – filosofia – politica (Kultur und Religion in Europa Bd. 5), Münster 2006, 83-99.

[2] Es handelt sich um das 33. Kapitel von Hannah Arendt, The Human Condition, University of Chicago Press, Chicago 1958. Deutsch: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1981, 231-238.

[3] Arendt, Vita activa, a.a.O., 231-238.

[4] Ebd., 231.

[5] Arendt, Vita activa, a.a.O., 238.

Semesterschluss-Gottesdienst

Wir beenden das Sommersemester mit einem großen Schlussgottesdienst und anschließendem fröhlichen Get-together im Hof und in der KSG.

“männlich, weiblich und alles dazwischen”

Predigt von Juliane Link in der KSG Berlin am 09.07.2023

Seit kurzem ist Juliane Link verantwortlich für die queersensible Seelsorge in der KSG. In ihrer Predigt zeigt sie neue Perspektiven auf den ersten Schöpfungsbericht auf, der – wie auch viele andere Bibelstellen – durchaus als offen für die Realität vielfältiger Genderidentitäten und sexueller Orientierungen gelesen werden kann.

 

männlich und weiblich und alles dazwischen

Predigt von Juliane Link

In ihrer Predigt spricht Juliane Link über den weiten Raum der Möglichkeiten, den der erste Schöpfungsbericht mit Blick auf Genderidentitäten und sexuelle Orientierungen eröffnet. Außerdem teilt sie Überlegungen dazu, was wir in der KSG unter queersensibler Seelsorge verstehen und wie man mit dem Dilemma umgehen kann, wenn die eigenen Überzeugungen und das kirchliche Lehramt auseinandergehen.

Prolog zur Predigt: Freie Nacherzählung des ersten Schöpfungsberichts

Zu Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Aber die Erde war Chaos und Wüste. Dunkelheit lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Da sprach Gott: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Am ersten Tag schuf Gott auf diese Weise Tag und Nacht.

Aber Gott schuf auch die Dämmerung und den Sonnenaufgang und die blaue Stunde.

Und Gott fragte nicht, ob die blaue Stunde zum Tag oder zur Nacht gehört.

Am zweiten Tag schuf Gott Himmel und Erde.

Aber Gott schuf auch die Berge, die in den Himmel ragen und den Regen, der vom Himmel auf die Erde fällt. Gott schuf den Nebel und das Flimmern der Sommerhitze am Horizont. Gott schuf den Schnee und den Morgentau.

Und Gott fragte nicht, ob der Tau zum Himmel oder zur Erde gehört.

Am dritten Tag schuf Gott das Festland und schied es von den Meeren.

Aber Gott schuf auch die Inseln auf den Flüssen und die Seen im Landesinneren, das Wattenmeer und die Sandbänke, den Sumpf und das ewige Eis.

Und Gott fragte nicht, ob das ewige Eis zum Wasser oder zum Land gehört.

Am gleichen Tag schuf Gott das Gras und das Kraut und die Bäume, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen. Aber Gott schuf auch die Blumen, die zwischen den Gräsern auf der Wiese wachsen, die Kletterpflanzen, die sich an den Bäumen emporwinden, das Getreide auf dem Feld und die Kakteen. Gott schuf das Schilf, den Dschungel und das Gebüsch.

Und Gott fragte nicht, ob das Gebüsch zu den Gräsern oder zu den Bäumen gehört.

Am vierten Tag schuf Gott Sonne, Mond und Sterne. Aber Gott schuf auch die Zwergplaneten und die Kometen, die schwarzen Löcher und die Sternschnuppen und zwischen den Himmelskörpern den Weltraum.

Und Gott fragte nicht, ob die Lichtjahre zwischen Sonne und Mond zu dem einen oder zu dem anderen Gestirn gehören.

Am fünften Tag schuf Gott die Fische und die Meerestiere und die Vögel. Gott sprach, dass es im Wasser wimmeln soll vor Vielfalt und die Vögel fliegen sollen in aller Freiheit. Gott sprach: seid fruchtbar und vermehrt euch, erfüllt das Wasser mit eurer schillernden Anwesenheit und die Erde mit eurem Gesang.

Und angesichts ihrer Schönheit stellte Gott keine Fragen zu den fliegenden Fischen und den schwimmenden Enten und den tauchenden Kormoranen. Gott fragte nicht einmal, ob der Pinguin zu den Meerestieren oder zu den Vögeln gehört.

Am sechsten Tag schuf Gott die Landtiere: das Vieh und die Kriechtiere und das Wild der Erde, ein jedes nach seiner Art.

Und Gott sah, dass es gut war und er haderte nicht mit den Landtieren, die sich zum Wasser hingezogen fühlten und den flugunfähigen Vögeln. Gott mochte auch die Krokodile, die Schildkröten und den Vogelstrauß.

Und Gott sprach: Wir wollen Menschen machen – als unser Bild, etwa in unserer Gestalt. Und Gott schuf die Menschen zu seinem Bilde, Gott schuf sie als männlich und weiblich.

Und manche waren eindeutig männlich oder eindeutig weiblich und fühlten sich hingezogen zum anderen Geschlecht. Aber Gott schuf auch Menschen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlten oder zu beiden Geschlechtern. Gott schuf männliche und weibliche Menschen, aber auch solche die trans oder inter waren. Und Gott fragte nicht, ob sie zu den weiblichen oder zu den männlichen gehören, denn sie alle glichen etwa der göttlichen Gestalt.

Stattdessen sprach Gott: Seid fruchtbar und vermehrt euch, seid zärtlich zueinander und kümmert euch um alles, was ich euch anvertraut habe.

Und dann sah Gott, dass es sehr gut war.

Und Gott segnete sie. Alle.

Im Zwischenraum ist Platz für Vielfalt

Liebe Studierende, liebe Gemeinde,

der Text, den wir gerade gehört haben ist inspiriert vom ersten Schöpfungsbericht der Bibel, aber auch von Irmtraud Fischer, einer Theologin, die sich mit Liebe und Sexualität im Alten Testament beschäftigt. Sie deutet den ersten Schöpfungsbericht, den wir in der Lesung gehört haben so, dass er ein möglichst umfassendes Bild von Gottes Schöpfung zu zeichnen versucht, indem er die äußersten Pole von all dem benennt, das von Gott geschaffen wird: Himmel und Erde, Land und Wasser, Sonne und Mond. Die gesamte Anlage des Textes ist polar: die äußeren Pole werden benannt, aber alles dazwischen ist auch gemeint, es wird berichtet, dass Gott Tag und Nacht erschafft, aber das dabei auch die Dämmerung entsteht, bleibt unerwähnt. Dabei spannt sich in dem weiten Raum zwischen den Polen Gottes Schöpfung erst auf. Es gibt sehr vieles in diesem Zwischenraum, all das gehört zu Gottes Schöpfung, es wird nur nicht explizit benannt. Irmtraud Fischer sagt: so ist es auch mit dem Menschen, der von Gott als männlich und weiblich geschaffen ist. In vielen Bibelstellen steht „Gott schuf die Menschen als Mann und Frau“, das ist aber eine ungenaue Übersetzung, eigentlich steht da: „als männlich und weiblich“. Und auch zwischen männlich und weiblich gibt es einen weiten Raum von Möglichkeiten, die nicht benannt, aber mitgemeint sind. In diesem Zwischenraum dürfen wir uns mit unserer Genderidentität verorten, auch wenn sie nicht eindeutig männlich oder weiblich ist und in diesem Zwischenraum ist Platz für die Vielfalt sexueller Orientierungen, die in uns genetisch angelegt sind.

Wer queer ist, ist in der KSG willkommen!

In dem Text, den ihr gerade gehört habt, habe ich versucht Beispiele für all das zu finden, was sich zwischen den Polen befindet und es zu würdigen. Denn unsere Welt wäre ganz schön arm und einseitig und langweilig, gäbe es nichts zwischen den Polen. Auch hier in der KSG gibt es Studierende, die sich als queer geoutet haben, einige mit der Bewegung OUT IN CHURCH, andere in persönlichen Gesprächen. Ich glaube, dass es eine sehr persönliche Entscheidung ist, ob man sich outen möchte oder nicht. Niemand, der queer ist, sollte unter Druck kommen, als Botschafter*in für die queer-Community auftreten zu müssen. Aber wenn ihr queer seid, dann sollt ihr wissen, dass ihr das hier sein dürft.

Queersensible Seelsorge: ein Angebot für alle!

Das wollte ich schon lange mal in einem Gottesdienst sagen, aber dafür, dass ich heute hier über diese Thema predige, gibt es einen Anlass: wir wollen damit feiern, dass wir uns als KSG entschieden haben, der Bitte des Bischofs zu folgen, eine Ansprechperson für queersensible Seelsorge zu benennen. Das hat einen Prozess angestoßen, in dem wir uns darüber Gedanken machen, welche Bedingungen es für queersensible Seelsorge in der KSG braucht: Und wir glauben: Die Voraussetzung dafür ist, dass die KSG ein queerfreundlicher Ort ist. Ein Ort, an dem sich niemand Sorgen machen muss, dass er wegen seiner sexuellen Orientierung oder wegen seiner Genderidentität verletzenden Bemerkungen ausgesetzt ist. In der Gemeindeversammlung haben wir vor kurzem darüber abgestimmt, dass wir so etwas nicht dulden und als Form von Diskriminierung verstehen. Und gleichzeitig haben wir im Gemeinderat darüber gesprochen, dass wir nicht einfach behaupten können, dass wir alle total offen und woke sind, während einige von uns vielleicht gar nicht so viel über Queerness wissen. Eine Sorge war, dass man ausversehen etwas Verletzendes sagt oder dass nicht alle gleicher Meinung sind, wie es auch bei anderen Themen in der KSG ist. Deshalb haben wir uns überlegt, dass wir ab jetzt immer wieder über das Thema informieren wollen, damit die, die sich nicht gut auskennen sensibilisiert und mit dem Thema vertrauter werden. Das werde ich als Verantwortliche für queersensible Seelsorge organisieren und dazu werde ich euch bald auch einladen, gemeinsam zu überlegen, was wir machen wollen. In diesem Sinne ist queersensible Seelsorge ein Angebot für alle.

Queersensible Seelsorge für LGBTQIA* Personen

Darüber hinaus ist queersensible Seelsorge aber natürlich auch ein Angebot für Menschen, die sich selbst als queer verstehen. Und ein kurzer Einschub: sie als queere Menschen zu bezeichnen, klingt für mich irgendwie komisch und aktuell wird meines Wissens nach stattdessen am häufigsten die Abkürzung LGBTQIA* verwendet. Das steht für lesbisch, schwul, trans*, queer, inter* und asexuell und das Sternchen am Ende ist ein Verweis darauf, dass es viele weitere Bezeichnungen und Verortungen von Personen geben kann.

Wenn ihr zu diesen Personen gehört, könnt ihr bei mir geistliche Begleitung, Coaching oder Seelsorge wahrzunehmen, aber auch die Gesprächsangebote von Pater Max und Karen sind queersensibel. Das war natürlich auch schon vorher so, aber jetzt ist es offiziell, dass man mit uns offen reden kann, ohne komische Reaktionen befürchten zu müssen. Warum müssen wir das so explizit sagen? Weil es leider nicht selbstverständlich ist. Wir sind uns bewusst, dass LGTBQIA* Personen im kirchlichen Kontext Verletzungen, Diskriminierung und Abwertung erfahren haben und an vielen Orten weiterhin erfahren. Mich empört das und ich schäme mich dafür. Wer Verletzendes erfahren hat, ganz gleich, welche Art von Verletzung und welcher Schweregrad, kann sich an uns wenden und muss keine Sorge haben, dass wir das nicht ernst nehmen.

Queere Theologie: Über den Umgang mit Clobber Passages und die Suche nach Vorbildern

Neben konkreter Seelsorge, zu der nach natürlich auch die Segnung von Paaren gehört, wollen wir im Rahmen der queersensiblen Seelsorge auch ein Angebot zu queerer Theologie machen. Queere Theologie befasst sich zum Beispiel mit den sogenannten „Clobber Passages“. Ich kann das heute hier nur anreißen, aber gemeint sind Bibelstellen, in denen homosexuelle Handlungen scheinbar verurteilt werden. Viele Stellen werden aber falsch übersetzt oder von uns heute falsch verstanden, weil wir den Kontext nicht kennen. Häufig geht es nicht um Homosexualität, sondern um eine Distanzierung von Zwangsprostitution und sexualisierter Gewalt, die manche Männer nicht nur an Frauen, sondern auch an anderen Männern verübten. Aber natürlich spiegeln die Texte auch die Gesellschaften wieder in denen sie entstanden sind: patriarchale Gesellschaften, in denen vieles undenkbar war, das für uns heute selbstverständlich ist, gerade mit Blick auf sexuelle Selbstbestimmung. Umso erstaunlicher ist es, dass es, gerade im Alten Testament, einige Bibelstellen gibt, in denen Menschen Beziehungen führen, die als queere Liebesbeziehungen gedeutet werden können. Ruth und Naomi oder David und Jonathan sind Beispiele. Mit der Bibel lässt sich Queerfeindlichkeit also nicht kohärent begründen.

Was machen wir mit dem Katechismus?

Aber dennoch gibt es für uns als Katholik*innen ein Problem: Was machen wir damit, dass die katholische Kirche in ihrem Katechismus die bestehende Vielfalt sexueller Orientierungen und Genderidentitäten nicht als gleichberechtigte Möglichkeiten anerkennt, die eigene Sexualität zu leben und homosexuelle Handlungen als unmoralisch verurteilt?

Ich habe darauf zwei Antworten:

1. Wir können immer noch für Veränderung eintreten.

Erstens: Wir können immer noch für Veränderung eintreten. Der synodale Weg hat das getan. Die Mehrheit der Beteiligten plädierte für das Grundsatzpapier „Leben in gelingenden Beziehungen“, das eine Weiterentwicklung der katholischen Sexualmoral vorsah. Aber obwohl die Bischöfe in der Versammlung zahlenmäßig in der Minderheit waren, konnten sie mit ihrem Veto den Beschluss kippen. Dennoch ist ein Handlungspapier verabschiedet worden, dass die Bischöfe dazu auffordert sich um das Thema queersensible Seelsorge in ihren Bistümern zu kümmern. Dem ist unser Bischof nachgekommen, allerdings sind wir als Hauptamtlichen Team der KSG der Meinung: die jetzige Strategie ist verbesserungswürdig. Wir arbeiten deshalb gerade an einem offenen Brief an den Bischof, den wir in den nächsten Tagen abschicken, danach veröffentlichen und dann könnt ihr ihn auch unterschreiben, wenn ihr euch unseren Veränderungsvorschlägen anschließen wollt.

2. Mich entscheiden: der Autorität folgen oder meiner inneren Stimme

Und die zweite Antwort, richtet sich auch an alle von euch die sich vielleicht nicht sicher sind, was richtig ist. Ich weiß, dass manchen von euch die Lehre der Kirche sehr wichtig ist. Vielleicht sorgt ihr euch, nicht mehr richtig katholisch zu sein, wenn ihr über LGTBQIA* Personen anders denkt, als diejenigen, die die Lehrmeinung der Kirche formuliert haben.

Mich hat in dieser Frage ein Buch von Doris Reisinger sehr inspiriert, eine Theologien, die sich viel mit dem Thema „spiritueller Missbrauch“ beschäftigt hat. Sie sagt: „In der Kirche hat es immer beides gegeben. Sie besitzt eine freiheitliche und eine autoritäre Tradition […] Sie kennt das Eintreten für den Menschen, seine Gotteskindschaft und sein freies Gewissen ebenso wie das Eintreten für die institutionelle Macht und Reputation, für eine vermeintlich objektive Wahrheit und Moral […]. Sie kennt die freie theologische Forschung mit ihren verschiedenen Lehrmeinungen und Schulen ebenso wie den Anspruch der römischen Kirchenleitung, alleine das ‚ordentliche Lehramt‘ zu sein. Diese beiden Traditionen finden sich schon im Neuen Testament“1 und in vielen theologischen Schriften. Auch im Katechismus finden sich neben den autoritären Passagen über Homosexualität Stellen, die der freiheitliche Tradition zuzuordnen sind, zum Beispiel: „Der Mensch hat das Recht, in Freiheit seinem Gewissen entsprechend zu handeln und sich dadurch persönlich sittlich zu entscheiden.“2 Und im Folgenden wird ausdrücklich erklärt, dass der Mensch nicht daran gehindert werden darf, „gemäß seinem Gewissen zu handeln“3. Wie passt das nun zusammen? Doris Reisinger argumentiert: es passt überhaupt nicht zusammen und genau das ist das Problem: in ihrer Lehre springt die Kirche zwischen zwei Traditionslinien hin und her, obwohl beide sich widersprechen. Wenn nun mein Gewissen mir sagt, dass die Abwertung von LGTBQIA* Personen ebenso falsch und unmoralisch ist wie Rassismus oder Sexismus, der Katechismus aber eine solche Abwertung als Teil der katholischen Lehre festschreibt, dann sind wir als Katholik*innen in einem Dilemma, das Doris Reisinger so beschreibt: „Wenn eine geistliche Autorität und das eigene Selbst verschiedener Auffassung darüber sind, was Gott will und was richtig ist, lässt sich das nur auf zwei verschiedene Weisen lösen: Entweder ich folge der Autorität oder ich folge meiner inneren Stimme.“4

Und ich glaube im Moment muss jeder und jede von uns bezüglich dieser Frage eine eigene Entscheidung treffen. In dem Wissen, dass die KSG ein Ort ist, wo man seiner inneren Stimme folgen darf. Und ich persönlich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass es solche Orte in der Kirche gibt. Denn wenn wir noch einmal zum ersten Schöpfungsbericht zurückkommen, lese ich dort auch: Gott hat uns neben unserer Sexualität noch viel mehr gegeben: Unsere Freiheit zum Beispiel. Und unsere Verantwortung füreinander und für das Ganze.

1 Doris Wagner (heute: Reisinger): Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Herder 2020, S.148 f.

2 Nummer 1782, hier nachzulesen: http://www.pfarrer.at/katechismus_moral_gebote.htm

3 Ebd.

4 Doris Wagner (heute: Reisinger): Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Herder 2020, S.150.

Das Unbekannte lieben, um das Bekannte zu ehren

Predigt von Oscar Perdomo in der KSG Berlin am 02.07.2023

Das heutige Evangelium zeigt uns eine faszinierende Seite von Jesus. Er spricht verwirrende Worte, die eine geheimnisvolle Schönheit in sich tragen. Jesus ermutigt uns, Opfer zu bringen und auf etwas zu verzichten. Es scheint, als ob er über Gewinn und Verlust spricht und unsere Erlösung eine ökonomische Dimension hat. Dies mag ungewöhnlich sein, denn normalerweise zeigt Jesus bedingungslose Liebe und stellt kaum Anforderungen. Hier jedoch wirkt Jesus fordernd und seine Forderungen scheinen im Widerspruch zu dem Gebot, das Mose am Sinai erhalten hat: “Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt!”

Jesus fordert uns auf, ihm über unsere Familie und Geliebte zu folgen. Er sagt sogar voraus, dass wir unser Leben verlieren, um es wiederzufinden. Dies mag radikal und kontrovers erscheinen, im Gegensatz zum mitfühlenden Jesus, der einfache Menschen liebt. Als ich darüber nachdachte, erinnerte ich mich an den Tag, an dem ich mich von meiner Familie verabschiedete, um nach Deutschland zu gehen. Meine Mutter weinte, als wir uns vor der Passkontrolle am Flughafen umarmten. Mein Vater war nicht dabei, die zehnstündige Busfahrt zwischen meine Stadt und Bogotá war für ihn zu anstrengend. Es war offensichtlich, dass er am meisten unter meiner Entscheidung litt, in ein Land zu gehen, das zehn Stunden Flugzeit entfernt war. Meine Schwester und mein Bruder waren ebenfalls am Flughafen, sie hatten Blumen für mich gekauft und ihre Augen waren geschwollen.

Ich weiß, es klingt alles ein wenig wie eine Telenovela. Sogar mein Hund war dabei und bellte unaufhörlich, als ich durch die Tür der Sicherheitskontrolle ging. Es wäre alles zu dramatisch gewesen, wenn nicht ein seltenes Schwindelgefühl in mir aufgekommen wäre, ein Vertigo, den ich zuvor noch nie erlebt hatte. Als ich zum Flugzeugtor ging, wurde mir bewusst, dass das Leben meiner Familie weitergehen würde, aber diesmal ohne mich. Vor mir lag die Aufgabe, ein neuer Mensch zu werden, und das machte mich furchtbar einsam. Ich war nie besonders an meine Familie gebunden. Ich hatte immer davon geträumt in anderen Kontinenten zu leben. Doch in diesem Moment verspürte ich Bedauern darüber, dass ich mein Leben unnötig kompliziert hatte. Bevor ich das Visum beantragte, hatten meine Eltern mich gewarnt: Warum willst du nach Deutschland gehen? Du hast hier in Kolumbien bereits studiert und einen gut bezahlten Job. Es gibt Menschen, die auswandern müssen, weil sie hier keine Arbeit und keine Zukunft haben, oder aufgrund von Kriegen. Aber das trifft nicht auf dich zu.

Das Leben hier in Kolumbien ist kompliziert, aber du hast hier alles. Warum solltest du das aufgeben? In Deutschland hingegen wirst du auf dich allein gestellt sein. Wenn du krank wirst, wird sich niemand um dich kümmern. Außerdem sagt man, dass die Europäer kühl sind. Zu dieser Zeit hatte ich kein Projekt in Deutschland. Übrigens, meine Großmutter war auch am Flughafen. Obwohl sie nicht weinte, ging mir zwei Sprüche von ihr immer wieder durch den Kopf: “Niemand verlässt sein Zuhause, um glücklicher zu werden”, und ” es gibt kein besseres Hotel als das Haus deiner Mutter.” Mit anderen Worten: In Berlin wartete nichts und niemand auf mich, außer meiner persönlichen Vorstellung, in dieser Stadt leben zu wollen und zu erfahren, wie es ist, dort zu sein.

Ich fühlte mich noch nie so verlassen wie in dem Moment, als das Flugzeug abhob. Es war, als wäre ich bei meiner eigenen Beerdigung gewesen, mit den Blumen meiner Geschwister in meinen Händen. Doch zwischen den Wolken spürte ich etwas Aufregendes: Diese Beerdigung bedeutete, dass ich die Chance hatte, ein neues Leben aufzubauen, von den Toten aufzuerstehen. Die Vorstellung, neue Menschen in Berlin kennenzulernen, die Veränderungen der Stadt durch die Jahreszeiten zu erleben, ein neues Zimmer und einen Job zu finden, eine neue Sprache zu beherrschen und meine sexuelle Orientierung freier auszuleben, erfüllte mich mit Aufregung. In diesem Moment verstand ich vielleicht, was ein Übergangsritus bedeutet: Es beginnt mit einer Phase der Ablösung, die dich für immer verändert und dich dazu zwingt, Fragen zu stellen, die nur du selbst beantworten kannst. Es ist etwas, das viel Angst auslöst und womit man sich nie richtig anfreundet.

Die Angst verstärkt sich, wenn man im neuen Land ankommt und feststellt, dass die Reise übermäßig idealisiert war. Es ist nicht aufregend, eine Wohnung zu suchen, Meldebescheinigungen zu beantragen oder Lebenslaufe schreiben, auf die niemand reagiert. Man fühlt sich oft sprachlich unterlegen, während jedes Kind in der Lage ist, sich besser aufzudrücken. Natürlich sind auch interessante Dinge passiert. Einmal habe ich im Aldi Haftgel für Zahnprotesen statt Zahnpasta gekauft und dann den ganzen Vormittag mit zusammengeklebten Zähnen verbracht, nur weil ich nicht wusste, wie man Zahnpasta auf Deutsch sagt. Heute lache ich darüber, aber die Wahrheit ist, dass damals war ich nur von mir selbst genervt.

Jedes Mal, wenn ich Kolumbien besuche, merke ich sofort, dass das Leben dort einfacher für mich ist. Ich muss mich weniger anstrengen, da ich die sozialen Regeln und Traditionen bereits verstehe. Doch merke ich dort, dass ich hier in Deutschland unbewusst neue Traditionen gelernt habe. Meine Eltern dachten, die Deutschen seien kalt, aber ich habe herausgefunden, dass sie ihre Herzlichkeit auf andere Weise zeigen. Anstatt ihre Hände zu benutzen, wie wir es tun, nutzen sie ihre Augen viel mehr zur Kommunikation. Unbewusst habe ich nun gelernt, meine Augen mehr einzusetzen, um mich auszudrücken. In Kolumbien schmecken die Tomaten und Gurken viel besser, und das Obst ist hier immer gleich, während es in Deutschland eine Vielzahl von Brotsorten und köstlichen Früchten gibt, von denen ich vorher nichts wusste, wie zum Beispiel Quitten. Ich hatte auch keine Ahnung, dass es so viele verschiedene Apfelsorten gibt, die nach Frauen benannt sind.

Manchmal zweifle ich daran, ob es richtig war, nach Deutschland zu kommen. Manchmal denke ich, dass es mir in Kolumbien möglicherweise beruflich besser ergangen wäre. Vielleicht hätte ich sogar ein eigenes Haus und einen festen Job an einer Universität. Doch eines steht außer Frage: Ich habe jetzt ein neues Leben und bin ein völlig anderer Mensch geworden. Vielleicht bin ich ängstlicher, aber ich habe auch viele neue Erkenntnisse darüber gewonnen, was die Welt bedeutet und wie vielfältig die Menschheit ist.

Das Verlassen von Kolumbien, meiner Familie und der Beginn dieses neuen Lebens ist ein schweres Kreuz, das ich trage. Dieses Kreuz wird schwerer, wenn ich bemerke, wie meine Eltern älter werden, meine alten Freunde mich bereits vergessen haben und mein kleiner Hund gestorben ist. Es sind bereits viele Jahre vergangen, in denen ich viel Zeit darauf verwendet habe, mich an ein neues Land anzupassen. Diese Last wird noch größer, wenn ich Angst habe, diskriminiert zu werden. Doch für diese Last habe ich ein neues Leben bekommen. Jedes neue deutsche Wort, das ich lerne, ist ein Teil meines neuen Selbst. Als ich das letzte Mal in Kolumbien war, sagte meine Mutter, dass ich weiser geworden sei. Es ist aufregend, dreißig Jahre alt zu sein und das Gefühl zu haben, viele neue Dinge erlebt zu haben. Vor allem ist es unglaublich aufregend zu spüren, dass Berlin mich aufgenommen hat und dass ich von der Stadt viel gelernt habe, aber die Stadt auch etwas von mir zurückbekommt.

Das ist genau das frische Wasser, von dem Jesus spricht. Es gibt nichts Besseres, als unseren Durst mit frischem Wasser zu löschen. Frisches Wasser bedeutet eine neue Wahrheit entdecken. Der Versuch, unsere Wahrheiten in der Zukunft zu erfüllen, führt jedoch zu Ängsten. Stattdessen sollten wir die Wahrheiten ehren, die wir in der Gegenwart spüren. Das bedeutet manchmal, dass wir Menschen, Gewohnheiten und Facetten unseres Lebens aufgeben müssen, weil sie nicht mehr relevant sind. Heute lade ich euch ein, eure eigenen Wahrheiten zu ehren, die aus eurer Seele kommen. Ich lade euch ein, euer eigene Durst zu stillen und keine Angst zu haben, wichtige Menschen oder Dinge zurückzulassen. Unsere Entscheidungen können schmerzhaft sein, wie es bei mir und meiner Familie am Flughafen der Fall war. Aber wenn wir unsere innersten Wahrheiten ehren, werden wir als Propheten belohnt. Zum Beispiel ist meine Familie glücklich, weil sie sieht, dass es mir gut geht, und das gibt ihnen Seelenfrieden. Der Preis, den wir zahlen müssen, ist hoch, aber wie Jesus sagt, werden wir unsere Belohnung nicht verlieren. Unsere Belohnung liegt in unserem eigenen Weg.

***

Amar lo desconocido, para honrar lo conocido

El evangelio de hoy nos cuenta una faceta intrigante de Jesús. Este es un Jesús que pronuncia palabras que nos pueden dejar confundidos, como si ellas encerraran una verdad misteriosa: una belleza que no puede ser interpretada en un único sentido. Es un Jesús que exige de nosotros, que nos pide sacrificio, que espera de nosotros cierta disposición a perder. Es el Jesús de habla de ganancias y pérdidas, como si la salvación fuera una transacción económica o un negocio en la bolsa. Ello es inusual si pensamos en otros pasajes del Evangelio donde Jesús entrega su amor, generoso, infinito, casi sin esperar nada a cambio de nosotros. Aquí no es así. Aquí, en cambio, Jesús se comporta como un dios que exige, y su exigencia contradice un poco el mandamiento dado a Moisés en el Sinaí: “Honra a tu padre y a tu madre, para que tus días se alarguen en la tierra que Yahveh tu Dios te da”. En otras palabras, este Jesús nos pide que lo sigamos por encima de nuestra familia, por encima de nuestra propia vida. Y como si esto no fuera ya suficientemente polémico, nos anuncia que aquel que pierde la vida por él, la encontrará. Esto puede ser controversial, porque podría ser el argumento de una persona radical, un extremista religioso.  ¿Acaso Jesús espera que seamos mártires para ser dignos de él? Sin dudas, no es el Jesús que se compadece de las personas simples y sencillas, como el cobrador de impuestos o la mujer samaritana.

Mientras pensaba en esto, vino a mi mente una escena: es el día que me despedí de mi familia para venir a Alemania. Mi madre lloraba y me abrazaba muy fuerte ante la puerta del área de Passport Control, en el aeropuerto. Mi padre no estaba con nosotros: para él, las diez horas de bus que separan nuestra ciudad de Bogotá eran ciertamente ya un suplicio demasiado largo. Por eso mismo yo sabía que era mi padre quien estaba más triste de que yo me marchara a un país que estaba a diez horas en avión. Pero mis hermanos sí fueron al aeropuerto, y tenían los ojos hinchados, aunque no lloraran, porque sabían que si lloraban entonces yo me sentiría peor y mi madre comenzaría a llorar todavía más. No había necesidad de hacer más dramático el momento. Lo sé: todo parecía una novela latinoamericana. Inclusive estaba mi mascota, mi perrita Pincher, Tita, que no paró de ladrar cuando crucé la puerta del Securty Check. Todo me hubiera parecido exageradamente melodramático, de no ser porque yo sentía una rara sensación de vértigo: un dolor que jamás había experimentado. Mientras caminaba hacia la puerta del avión, entendía que la vida de mi familia iba a seguir andando, pero sin mí, y que yo tendría que aprender a ser una nueva persona, y eso me hizo sentir horriblemente solo. Yo jamás he sido muy apegado a mi familia. Siempre había soñado con viajar, vivir en otros países. Pero en ese instante sentí que me arrepentía, que me estaba complicando la vida sin necesidad. Antes de aplicar para la visa mis padres me habían advertido: ¿para qué te empeñas en irte Alemania? Aquí en Colombia ya estudiaste, ya tienes un trabajo y estás cerca de nosotros. Hay gente que tiene que emigrar porque aquí no consigue trabajo ni tiene futuro, o por la guerra. Pero ese no es tu caso. Aquí en Colombia la vida es difícil, pero lo tienes todo: ¿para qué dejarlo abandonado? Allá en Alemania, en cambio, vas a estar solo. Si te enfermas, nadie te va a cuidar. Además, todos saben que los alemanes son fríos. Olvidé mencionar que mi abuela también estaba en el aeropuerto, y aunque no lloraba, una frase suya me rondaba en la mente… mi abuela dice que “nadie se va de su tierra para ser feliz”, y que, “el que se va de su casa no lo hace para engordar”. En ese entonces yo no tenía ninguna beca ni ningún proyecto seguro en Alemania. En otras palabras, nadie ni nada me estaba esperando aquí, salvo mi propia fantasía personal de querer vivir en Berlín. De saber lo que se siente vivir allí.

Nunca me he sentido tan abandonado como en ese instante en que el avión despegó. Fue como si hubiera asistido a mi propio funeral. Inclusive mi hermana me había traído flores al aeropuerto. Pero también había algo emocionante en todo esto: si yo estaba en mi propio funeral, eso quería decir que ahora tendría la oportunidad de crearme una nueva vida, de levantarme entre los muertos. Me emocionaba pensar en toda la gente nueva que conocería en Berlín, en saber lo que es la primavera y el invierno, en conseguir un cuarto y un trabajo nuevos, en dominar un nuevo idioma, en vivir mi orientación sexual de forma mucho más libre. Es posiblemente que en este momento haya entendido el peso de lo que es un ritual de paso: es un sacrificio que te transformará para siempre, que te obliga a preguntarte por cosas que solo tú serás capaz de responderte. Es algo que produce mucha ansiedad, y a lo que nunca terminas de acostumbrarte.

La ansiedad empeora en el instante en que llegas a tu nuevo país y te das cuenta de que hay cosas que idealizaste y que no son nada emocionantes. ¿O quién diría que hay algo emocionante en buscar un apartamento y tramitar la Meldebescheinigung, o en escribir cuadriculadas Lebenslauf para aplicar a trabajos que nadie te responde? ¿O sentir que cualquier infante de cinco años se puede expresar mejor que tú? Es cierto que también me han pasado cosas interesantes. Por ejemplo, una vez en el Aldi compré por accidente Haftgel für Zahnprotesen en lugar de Zahnpasta, y luego pasé toda la mañana con los dientes pegados, todo porque no sabía cómo se decía crema dental en alemán. Hoy me río, pero la verdad es que nada de eso es gracioso cuando lo vives.

Cada vez que visito a mi familia en Colombia, siento de inmediato que la vida allá es más fácil, que gastas menos energía tratando de entender los códigos de conducta y la actitud de las personas, que sabes en dónde encontrar cada cosa. Sin embargo, entonces, me doy cuenta de que sin saberlo he aprendido muchísimas cosas nuevas aquí, aunque no eran las que yo esperaba. Aprendí que en Alemania la gente no es tan fría como sospechaban mis padres, que tienen otras formas de mostrar su cariño. Por ejemplo, aquí la gente utiliza menos las manos para hablar, pero en cambio recurren a gestos que yo no conocía: para decir Bitte se mueven los párpados, algo que me parece muy tierno. Ahora yo también utilizo este gesto. También aprendí que quizás aquí los tomates y el pepino no saben a nada, y las frutas siempre son las mismas, pero en cambio hay diferentes tipos de panes y frutas deliciosas que no sabían que existían: por ejemplo, los quitte.  Tampoco sabía que pueden existir tantos tipos de manzanas, y que cada una lleva nombre de mujeres.

A veces dudo si venir a Alemania fue la decisión correcta. A veces pienso que si me hubiera quedado en Colombia posiblemente me hubiera desarrollado mejor profesionalmente, quizás hasta tendría una casa y posiblemente un trabajo estable en una Universidad. Lo que nunca dudo es que ahora tengo una nueva vida, soy una persona muy diferente, quizás más ansiosa, pero también llena de nueva información sobre lo que significa el mundo, y de lo variada que es la humanidad.

Irme de Colombia, dejar a mi familia y comenzar esta nueva vida es una cruz, esta es la cruz que cargo. Esa cruz se hace más pesada cuando siento que mis padres envejecen, que mis antiguos amigos ya se han olvidado de mí, que mi perrita ya se murió y que han pasado ya muchos años de los que he gastado mucho tiempo aprendiendo a adaptarme a un nuevo país que posiblemente termine abandonado.  Esta cruz se hace más pesada cuando me da miedo de ser discriminado, o simplemente por no poder entender lo que te dice el cajero en el Aldi. Sin embargo, a cambio de esa cruz he recibido una nueva vida. Cada nueva palabra del alemán que aprendo es parte de mi nuevo ser, cada gesto nuevo es parte de mi nuevo rostro. La última vez que estuve en Colombia mi madre me dijo que me he vuelto más sabio. Es emocionante tener treinta años y sentir que has pasado por muchas cosas nuevas. Sobre todo, es increíblemente emocionante sentir que Berlín te ha acogido, que tú has aprendido de la ciudad, pero que la ciudad también tiene ahora algo de ti.

Yo siento que esa es precisamente el vaso de agua fresca de la que nos habla Jesús. Pero Jesùs también dice que aquellos que reciben a un profeta recibirán pago de profeta. Es posible que ese profeta seamos nosotros mismos. Un profeta anuncia verdades. De hecho, intentar que nuestras verdades se cumplan en el futuro es la mejor manera de tener ansiedad. Lo que sí podemos hacer es honrar las verdades que sentimos en ese momento, en nuestro presente. Honrar nuestras propias verdades, aun cuando ellas impliquen, a veces, abandonar a las personas que queremos, o también abandonar costumbres, o dejar atrás facetas de nuestra de vida que antes eran importantes, pero que ya no lo son. Por eso quiero invitarlos hoy a que ustedes se honren a sí mismos, honren sus propias verdades, esas que saben que vienen de su alma, y no tengan miedo de dejar atrás personas o cosas importantes. Es posible que nuestras decisiones nos causen mucho dolor, tal como me pasó a mí y a mi familia en esa escena en el aeropuerto.  Pero si estas decisiones honran nuestras verdades más íntimas, esas convicciones que nosotros sentimos porque no nos las ha impuesto ni enseñado nadie, recibiremos recompense de profeta. Yo sé, por ejemplo, que ahora mi familia es muy feliz, pues me ven feliz y eso les da mucha tranquilidad. El precio a pagar es alto, pero como dice Jesús, no perderemos nuestra paga. El pago es nuestro propio camino.

Into the Unknown – 4. Unafraid

Homily by Karen Siebert, KSG Berlin on June 25th 2023

Speaking fearlessly of God in an ungodly world. (Matthew 10,26–33)

How can we speak of God in Berlin – an urban atheist city? How can we gather our courage to stand up for our faith when we are met with ridicule, incomprehension or even hostility? And are the words of Jesus enough to make us unafraid?

Our place in time

Hey,

who of you comes from an area where Christians are the majority?

And even more: Who comes from an area where Catholics are the majority compared to other Christian denominations?

Who comes from Berlin?

Then you are used to being a minority. It is estimated that only about 26% of Berlin’s population are Christians.

Only 8% are of Roman Catholic faith. Roughly as many as there a Muslims in Berlin.

It gets even more drastic, if you go to the countryside surrounding Berlin. Due to the communist’s anti-religious agenda of the past, only 5-8% of the population of East Germany is believing in God at all. Which makes it the least religious area of the whole world.

So this is where we find ourselves. If you come from a country or region with a very strong Christian tradition this might be very alien to you. Even for me, – I come from the west of Germany – this is a bit tough.

We sit here in Berlin – in the least religious area of the world and Jesus demands:

Acknowledge me before men.

What I tell you in the dark, say in the light.

What you hear whispered, shout it from the housetops!

Have you tried shouting your Christian faith from the roof tops of Berlin yet? Chances are that you will be either completely ignored as just another nutcase among many. Or you will get into a shouting match that will become more aggressive by the minute.

But seriously, what experiences have you made in Berlin talking about your Roman Catholic belief and your Christian faith? Or do you not talk about it all, if you are not sure that there are likeminded people around?

I myself am not the shouting type. The two occasions, I usually speak about my faith and my belief (I mean when I am not with fellow Christians) is either when I am being asked what I do for a living

Or when people ask me: Why do your kids participate in “religious education” in school? In Berlin religious education is a voluntary subject. Of the 450 kids in my sons’school, only 30 participate.

The reactions I get to my confession range from lack of interest to polite incomprehension to open dismissiveness.

Those who react highly negative usually doubt my sanity. Bbecause for them believing in God and even worse being a member of the Catholic Church stands for backward people believing in backward ideas, organised in a backward organisation.

My experiences go like this:

A guy abruptly turns away at a dinner party midway in our conversation, when he finds out that I am working for the Catholic Church.

My nine year old son has a class mate who tells him, that his mother spits at priests when she sees them and shoots stones at Christian statues with a slingshot.

 

Afraid – but why?

With none of these examples have I entered into a deeper conversation about my faith. Because there is no chance to convince them anyway? Maybe. But also because I feel afraid.

But why?

For the disciples back then there was a real danger. That is why Jesus says: And do not fear those who kill the body!

But unless I am meeting a real deranged person or a crazy fundamentalist of whatever faith, the chances of my body being killed for speaking out about God are not very high in Berlin.

So why am I afraid to speak of my faith?

Here are some reasons I found:

I am afraid of being rejected. More precisely, I am afraid of being rejected for something, I feel I am not.

I am afraid of people rejecting me, because they think that I am conservative irrational person who denies the findings of science. I am afraid people will think that I am taking the bible literally.

I am afraid that people will confuse me with an evangelist or fundamentalist Christian. E.g. denying evolution theory or standing in front of an abortion clinic shouting hell and damnation.

I am also afraid that I will come across as those people who vehemently seek to convince their dialogue partner. By speaking to them either by bombarding them with religious quotes or by overwhelming them with enthusiasm and proclamations of welcome like they are trying to sell you a fitness club membership.

This takes me to the matter of truth. I feel strange telling people what the truth is. Although my church stands for the truth.

Lastly, I sometimes am embarrassed by the Catholic Church.

I believe in the equality of men and women.

I do believe that homosexual and queer people are part of nature.

I believe that every person has a right to live, but I also believe that people and especially women need a choice. How can I represent a church that denies these claims?

 

My Christian – postmodern identity problem

Taking everything that I am afraid of, I come to the following conclusion:

I believe in God and Christ and (most) of the teachings of my church. But I have been brought up in Germany at the end of the 20th century. In a modern / post- modern society. In a country that has become increasingly secular over the last 70 years.

Due to my upbringing, I believe in reason, in science,

In equality of all people,

I believe in the freedom to choose your own faith – or none at all.

I doubt whether there is an absolute truth and believe in the right to resistance if a higher authority tells me what to do or believe but my conscience tells me otherwise.

Shouting my faith from the rooftops is not an option for me, because it would not be me.

Sorry Jesus!

Or would you like to hear me shout: I believe in God who sent his son to show us his love and to redeem us, but believe me, I am rational person!

Does that mean, that my post-modern identity has won? That I will show my Christian identity only amongst fellow believers?

The recipe for being heard

Not quite:

There have also been instances, where I spoke about my faith that have been successful.

There is my friend who lost her father and who openly says she envies me by believe in a life after death. And that she wishes to feel the same. And who asks me, to take her daughter to church with me.

There is the punk father of my son’s friend. Who really believes the world would be a better, less violent and oppressive place if there was no religion at all. We end up in a heated discussion, but it is a discussion of mutual respect and at the end we at least can agree that we are both happy to live in a land of religious freedom and of free speech. Where I can proclaim my faith and he can make jokes about it.

Two weeks ago, I was holding a workshop in the KSG about time- and self-management. During the lunch break one atheist participant wanted to know all about my faith and questioned me about my theology studies at university. She had always thought that studying theology meant learning the bible by heart and being taught how to use it convert people. She confessed that she is a strong opponent of the church tax system in Germany but that she is having second thoughts, now that she has participated in such a good workshop funded by church taxes.

In these three examples, the people have come to know me as a rational, competent, modern person first. Then they learned about my faith. What happened was, that they were open minded, even wanted find out more about my faith and my beliefs.

In these conversations, I have been unafraid.

I can tell them, how much my faith enriches my personal life.

And then they get a glimpse of how it is possible to be post-modern person and Christian at the same time.

Being normal while having more

So I chose a different way from the one Jesus demands. Because as a modern person, I am more afraid of rejection than of God’s damnation. Maybe Jesus will be dissatisfied. Or maybe he will understand.

Anyway, I will keep showing people that I am normal. Like (most) Christian are normal people. That we can live in this modern / or postmodern world without denying it.

But I will also show them, that we have more. And maybe they will get curious about what that more is.

Maybe for you, it is a whole different story. Because you grew up in different setting. Because you don’t feel uncomfortable proclaiming your faith directly and openly.

Then choose your own way. I think, the important thing is, that we proclaim our faith unafraid and in an authentic way. Because people can tell if we do not.

 

Into the Unknown – 3. Unsichtbares

Predigt von Juliane Link in der KSG Berlin am 18.06.2023

Juliane Link fragt sich in ihrer Predigt, warum Gott unsichtbar ist und ob man das Unsichtbare nicht doch irgendwie sehen kann. Eine Begegnung zwischen Gott und Mose und ein altes Gemälde inspirieren Juliane dazu, nach den Spuren Gottes zu suchen, den man nicht sehen, dem man aber hinthersehen kann.

Liebe Studierende, liebe Gemeinde,

im Mai 2021 kam es in einem Aktionshaus in Mailand zu einem seltsamen Vorfall, über den weltweit mit Häme und Empörung berichtet wurde: der italienische Gegenwartskünstler Salvatore Garau bot dort eine Skulptur mit dem Titel „io sono“ „ich bin“ zum Verkauf. Die künstlerische Arbeit, so warb der Prospekt, sei ein Werk “von größter Wichtigkeit und intellektueller Stimulation”. Einen Verkaufspreis von 6000 bis 8000 Euro erwartete man. Am Ende wurde „io sono“ für den doppelten Preis versteigert. “Und 15 000 Euro sind wirklich, wirklich wenig Geld für einen original Garau”, sagt der Künstler dazu.

Salvatore Garau, io sono, 2021

15 000 Euro für ein unsichtbares Kunstwerk?!

So weit, so gut. Und wo ist nun der Skandal? Nunja…  mit der Skulptur gibt es ein Problem: sie ist unsichtbar. Der Käufer erhielt beim Erwerb der Skulptur lediglich ein Zertifikat, mit der Anweisung: “Aufzustellen in einem Privathaus, in einem Raum frei von Hindernissen auf 150 x 150 cm.” Garau veröffentlichte Fotos von seinem unsichtbaren Werk, das seiner Behauptung nach zu diesem Zeitpunkt auf einem öffentlichen Platz in Mailand stand, zu sehen ist aber nur das Klebeband auf dem Boden, das die Maße der Skulptur markiert. Er erntete einen Shitstorm auf Social Media.

Fassen wir zusammen: Ein Künstler hat ein unsichtbares Kunstwerk für sehr viel Geld verkauft. Diese künstlerische Geste, lässt sich zwar kunsthistorisch gut verorten, sie hat ihre Vorbilder in den Arbeiten Duchamps und der Konzeptkunst der 70er Jahre, aber offenbar verärgert es trotzdem viele Menschen, wenn jemand so offensichtlich etwas verkauft, von dem man nichts hat und damit auch noch so erfolgreich ist. Moralische und ästhetische Fragen schließen sich an: Ist Kunst eh bloß eine leere Behauptung, sodass man auch ein nicht vorhandenes Kunstwerk als solches deklarieren und verkaufen kann? Wie kann man so dreist sein für dieses Nichts so viel Geld zu verlangen? Und wie kann es sein, dass jemand bereit ist, dafür soviel Geld auszugeben?

Ist der Kunstsammler verrückt? Und wir? Sind wir nicht ebenso naiv, wenn wir an einen unsichtbaren Gott glauben?

Auf den ersten Blick hat diese Debatte wenig mit theologischen Fragen zu tun. Dabei haben das Kunstwerk und Gott doch etwas Entscheidendes gemeinsam: beide sind unsichtbar. An beiden kann man zweifeln, sich fragen, ob sie tatsächlich existieren, ob es sich lohnt, sich mit ihnen zu beschäftigen, ihnen im eigenen Leben Raum zu geben, dafür Zeit oder Geld aufzuwenden. Beide werden für das Leben der Menschen, die sich für sie interessieren, erst bedeutsam, weil von ihnen erzählt und über sie geschrieben wird, weil es Rituale gibt mit denen sie gewürdigt werden: Das Kunstwerk wird ausgestellt und verkauft.. Und Gott? Versucht die Kirche nicht auch irgendwie uns Gott anzupreisen, wie der Künstler, der behauptet, sein Werk sei mindestens 6000 Euro wert? Für jemandem dem unsere religiöse Welt fremd ist, mag das, was wir heute im Gottesdienst tun, ebenso absurd sein, wie ein unsichtbares Kunstwerk aufzustellen: alles dreht sich um jemanden, dessen Anwesenheit nicht sichtbar ist. Wir behaupten er sei da, wir sprechen ihn an, wir beten zu ihm. Aber Gott offenbart sich dabei nicht wie in der Lesung, die wir heute gehört haben, mit einer hörbaren Stimme. Und in unserem Gottesdienst wird vermutlich keine Wolkensäule erscheinen, in der sich Gott zwar verbirgt, aber in der seine Anwesenheit doch durch ein eindeutiges, sichtbares und wundersames Zeichen markiert ist. Sicher wir feiern im Gottesdienst Eucharistie, wir vollziehen Handlungen, die uns heilig sind. Aber unterscheidet sich unser Glaube dabei wirklich so fundamental von dem Glauben eines Kunstsammlers, der sich in einem Aktionshaus eine unsichtbare Skulptur übergeben lässt und dabei 15.000 Euro über den Tisch reicht? Glaubt der Kunstsammler überhaupt, dass er ein Kunstwerk bekommt? Und wir, glauben wir wirklich, was wir hier tun, singen und beten? Und wennja, woran merken wir das?  Ich möchte mit dieser Predigt keine Antworten auf diese Fragen geben, euch nur anregen, eure eigenen Antworten auf diese Fragen zu suchen, während wir hier diesen Gottesdienst feiern.

Warum Gott unsichtbar bleiben muss und warum das für Gott ungünstig ist

In der Szene, die wir in der Lesung gehört haben, ist Mose intensiv im Gespräch mit Gott. Das Gespräch ereignet sich in der Wüste, in der Zeit in der das Volk Israel nach der Flucht aus Ägypten heimatlos umherzieht und sich in einer tiefen Krise befindet. Gott und Mose reden, wie einer mit seinem Freund spricht, so erzählt es die Geschichte. Schon diese Form des Gesprächs erscheint uns heute unrealistisch. Aber selbst zu einer Zeit, in der das möglich schien, war eines unmöglich: Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Gott ist seiner eigenen Definition nach für den Menschen unsichtbar. Oder besser gesagt: der Mensch ist nicht fähig, er könnte es nicht aushalten, Gott wirklich unmittelbar zu schauen. Deshalb verbirgt sich Gott.

Gott bleibt also unsichtbar und seine Unsichtbarkeit macht ihn heute für uns fragwürdig und auch ein bisschen langweilig. Wir leben in einem Zeitalter der Bilder, der vielen, der schnellen Bilder (iconic turn), die auf unseren Bildschirmen aufleuchten, kurz, um sofort abgelöst zu werden von anderen Bildern. Gott hat es schwer auf Instagram, er liefert zu wenig Content. Wer unsichtbar ist, der läuft Gefahr übersehen zu werden, in Vergessenheit zu geraten, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Wer keine Bilder von sich zeigt, ist langweilig oder, noch schlimmer gar nicht mehr da. Vielleicht würde es uns leichter fallen, innerlich mit Gott in Kontakt zu bleiben, hätten wir täglich von ihm ein Selfie. Das gibt es nicht.

Was es trotzdem von Gott zu sehen gibt

Und dennoch gibt es von Gott etwas zu sehen. Für mich gibt es dafür zwei Möglichkeiten:

Die erste Möglichkeit ist die Kontemplation, eine Form des stillen Gebetes, der Meditation, der Innenschau, in der wir uns einüben unsere Aufmerksamkeit auf den uns innewohnenden Gott zu richten, um ihn mit unserem inneren Auge zu sehen. Kontemplation meint „Schau“ und dieser Weg ist der Weg der christlichen Mysthiker*innen von den Wüstenvätern bis heute, es ist ein Weg der Stille und Reduktion, ein Weg der inneren Erfahrung, über den sich nur in Metaphern sprechen lässt. Ich glaube, dass es ein lohnenswerter Weg ist, auch wenn er nicht recht zu unserer Zeit zu passen scheint. Denn statt auf viele Fotos schauen wir in der Kontempation mit geschlossenen Augen auf das Unsichtbare. Ich gebe zu, das ist manchmal langweilig und manchmal anstrengend.

Die zweite Möglichkeit Gott zu sehen, ähnelt ein wenig dem, was Gott Mose anbietet, als er Moses Wunsch zurückweist, ihn sehen zu dürfen. Gott sagt, vielleicht um Mose zu trösten, dass er, wenn Gott vorübergezogen ist, einen Blick auf seinen Rücken werfen darf, einen Blick von weitem auf den Vorübergegangen. In der lutherischen Übersetzung heißt es: „und du darfst hinter mir her sehen“

Vielleicht kann man Gott so am leichtesten sehen, indem man ihm hinterhersieht.

Vielleicht kann man Gott so am leichtesten sehen, indem man ihm hinterhersieht. Mit dem  rückwärtsgewandten Blick, dem Blick, auf das, was war. Es ist ein Blick, der nachträglich erkennt: hier ist Gott gewesen. Hier ist er an mir vorübergezogen, hier hat er Spuren hinterlassen in meinem Leben. Oder auch ein Blick, mit dem wir Gott im Hier und Jetzt erkennen. Wir können Gott sehen, wie wir den Wind sehen, der die Blätter der Bäume bewegt. Wir können sehen, was Gott bewirkt.

Ich habe Gott gesehen in den strahlenden Gesichtern von Menschen, die ich im März durch in einem Exerzitienkurs begleitet habe, als sie mir von ihren Erfahrungen in der Stille erzählten. Ich habe Gott gesehen, in den Tränen einer Freundin, als sie nach Jahren der Qual zum ersten Mal einen Sinn in ihrer Krankheit erkennen konnte. Ich habe Gott gesehen in der überwältigenden Schönheit der Natur, ihrer Ruhe und Weite, ihren tausend erstaunlichen Details. Ich habe Gott gesehen in den Augen eines fremden, kleinen Kindes, das mich in der U-Bahn so wach und wissend und durchdringend ansah, als wisse es alles über mich.

Und natürlich lässt sich all das, was ich von Gott gesehen habe, auch auf andere Ursachen zurückführen. Aber es geht mir in dieser Predigt nicht darum Gottes unsichtbare Existenz zu beweisen, ihn ans Licht zu zerren. Es geht mir eher darum, euch zu inspirieren, dem Sichtbaren einen Verweischarakter auf das Unsichtbare zuzutrauen.

Der Unsichtbare als Hinzutretender: wie Gott sich auf einem Gemälde von Antonella da Messina bemerkbar macht

Antonella da Messina, um 1475

Ich möchte deshalb der unsichtbaren Skulptur von Salvatore Garau noch ein zweites Kunstwerk zur Seite stellen, das viel älter ist. Es stammt ebenfalls von einem italienischen Künstler, Antonello da Messina, der im 15. Jahrhundert auf Sizilien lebte. Von ihm stammt das Bild der Frau mit dem blauen Schleier, das ihr auf eurem Sitzplatz gefunden habt. Wenn ihr das Bild anschaut, seht ihr dort eine Frau in einem dunklen Raum, vor der sich ein kleines Pult befindet, auf dem ein Textheft liegt. Schaut mal kurz genauer hin, ob euch etwas auffällt an diesem Heft. …..

Wenn wir die Frau genauer betrachten, fällt ihr abgewanderter Blick auf, ihr Gesichtsausdruck wirkt etwas starr und entrückt, ist deshalb schwer zu deuten, ihr müsst aber bedenken, dass es zu der Zeit von Antonella da Messina völlig neu war, menschliche Gesichter so nah an den Betrachter heran zu holen und Menschen in ihrer Individualität zu portraitieren. Mit der linken Hand hält die Frau das blaue Tuch zusammen, das ihren Kopf bedeckt. Mit der rechten macht sie eine Geste, die der Künstler in einem Moment festgehalten hat, in dem noch nicht entschieden ist, was diese Geste meint. Will sie jemanden abwehren, zurückweisen, schnellt die Hand erschrocken zurück? Oder ist sie dabei, zögerlich, vielleicht schüchtern, vielleicht misstrauisch, die Hand zum Gruß zu heben? In jedem Fall deutet die Hand an, dass es ein Gegenüber gibt, jemanden auf den sie reagier. Jemanden, der für uns als Betrachter*innen des Bildes nicht sichtbar ist. Wenn wir den Bildraum imaginär erweitern, dann müssten die Person, auf die die Frau reagiert, sich in unserer Nähe befinden, vielleicht direkt neben uns stehen. Es  scheint als habe dieser jemand, gerade die Tür des Raumes geöffnet, als sei er gerade eingetreten und habe mit dem Öffnen der Tür oder den Bewegungen seiner Ankunft einen Luftstrom erzeugt, der die Seiten des Textheftes aufblättert. Und die Geste der Frau, das Zusammenhalten des Tuchs, vielleicht auch das eine Reaktion auf einen Windstoß, der ihr durch die Kleider fährt?

Das Gemälde ist berühmt geworden, weil es ein alt hergebrachtes Bildmotiv der Kunstgeschichte neu interpretiert: Die Frau in Blau ist Maria. Und der Hinzugetretene, den wir nicht sehen, ist der Engel Gabriel. Es handelt sich um eine der ersten Verkündigungsszenen, in der Gottes Bote unsichtbar ist. Man kann dieses Bild nicht verstehen, wenn man die Geschichte von Maria und ihrer geheimnisvollen Schwangerschaft nicht kennt. Aber wenn man sie kennt, dann kann man sehen, wer da unsichtbar hinzugetreten ist.

Welche Zeichen von Gottes Anwesenheit gibt es in meinem Leben?

Die Zeichen der Anwesenheit des Unsichtbaren sie sind da, sie sind sichtbar, aber es ist an uns sie zu deuten, sie zu verstehen, die Geschichten zu erzählen, die die Wirkzusammenhänge zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren herstellen.

Und vielleicht hat es dann doch sein Gutes, dass wir Gott nicht sehen können. Dass er sich nicht festlegen lässt auf eine bestimmte Gestalt. Dass wir uns immer neu fragen müssen: glaube ich eigentlich noch an ihn? Gibt es für mich  Zeichen seiner Anwesenheit? Kann ich mein Leben so sehen, dass ich darin Spuren finde, des vorübergegangen oder des hinzutretenden Gottes?

Wenn ich diesen Fragen nachgehe, dann hat vielleicht sogar Garaus Skulptur ihre Berechtigung, weil sie uns daran erinnert, welchen Wert das Unsichtbare für uns haben kann. Noch dazu heißt die Skulptur vielleicht nicht zufällig „io sono“, genauso wie Gott sich selbst beschreibt, als er Mose zum ersten Mal im brennenden Dornbusch erscheint: „Ich bin der ich bin“.

Into the Unknown – 2. Unruhe

Predigt von René Pachmann in der KSG Berlin am 11.6.2023

 Der Hochschulseelsorger der Viadrina (Frankfurt/Oder) setzt die Predigtreihe zum Semesterthema “Into the Unknown” fort mit Gedanken zur Unruhe und der kreativen Kraft, die in ihr liegt.

 

Was würde besser zum Semesterthema „into the unknown“ passen als Unruhe – Unruhe als Unsicherheit vor dem Unbekannten, in das wir unterwegs sind.

Als ich mich mit dem Thema Unruhe zur heutigen Predigt gemeldet habe, wusste ich nicht, was genau für eine Unruhe mich noch packen wird. Denn es gibt ja die verschiedensten Formen von Unruhe. Ich erzähle euch von einer.

Gerade arbeite ich an der Umsetzung eines größeren Projektes, bei dem wir eine sehr große Betonskulptur der polnischen Künstlerin Joanna Rajkowska aus Warschau nach Frankfurt an die Oder holen wollen. Dann soll mit verschiedenen Veranstaltungen ein breites Feld an Themen rund um die Skulptur aufgerissen werden, zusammen mit studentischen Initiativen, Lehrpersonen und anderen.

Weil die Skulptur schon ab morgen in Warschau abgebaut wird und wir bis Mitte dieser Woche noch keinen offiziellen Leihvertrag hatten und sich mit Versicherungen, Genehmigungen und Transportfirmen noch eine ganze Reihe unserer Probleme türmten, waren meine Tage bis Fronleichnam sehr unruhig.

Es war eine Unruhe, die aus den sehr vielen offenen Fragen und ungelösten Problemen bei gleichzeitig sehr hohem Einsatz finanzieller und organisatorischer Art resultierte. Es war nicht absehbar, ob eins der nicht gelösten Dinge vielleicht das ganze Projekt lahmlegt. Warten auf die richtigen Antworten, keine Kontrolle, Unsicherheit. Vielleicht ein ganz klein wenig vergleichbar mit entscheidenden Prüfungen, die nicht wiederholt werden können und ohne die die Fortsetzung des Studiums nicht möglich ist.

Das bedeutet viel Stress, der sich ganz unterschiedlich zeigt – ich wache in solchen Zeiten morgens sehr sehr früh auf und wälze im Kopf mögliche Probleme.

In meinem Fall ist die Unruhe inzwischen gewichen – Montagmorgen fahre ich nach Warschau und protokolliere den Zustand der Skulptur beim Abbau. Aber nicht immer lassen sich offene Fragen einfach lösen. Im Angesicht der Klimakatastrophe oder bei weiteren grundsätzlichen Konflikten werden wir noch lange mit ungelösten Problemen und neu auftauchenden Klippen zu tun haben.

Eine Unruhe, die bleibt – Unruhe, die da ist.

Die Frage ist nun, wie wir zu der Unruhe stehen – und was die Unruhe mit unserer Beziehung zu Gott macht.

Darauf gibt es naturgemäß mehrere mögliche Antworten. Ich möchte das in einen etwas weiteren Kontext stellen und zunächst nicht auf uns, sondern auf Religiosität allgemein schauen. Denn auch hier stellt sich die Frage, ob Religionen eher Trost oder eher Unruhe befördern.

Anders formuliert: Handelt es sich bei Religiosität um eine Kontingenzbewältigungspraxis oder um eine Kontingenzeröffnungspraxis?

Natürlich, ihr werdet es ahnen, ist beides möglich.

Zunächst: Was ist Kontingenzbewältigung?

Kurz gesagt geht es bei diesem Konzept (in Anknüpfung an Niklas Luhmann) darum, dass wir als Menschen Strategien brauchen, um die Zufälligkeiten und Unsicherheiten des Lebens aushalten. Neben anderen Möglichkeiten, diese Kontingenzen zu integrieren, ist die Religion ein Weg – um zum Beispiel den Tod auszuhalten oder die sinnlose Tragödie eines großen Unglücks. Für religiöse Menschen bietet der Glaube einen Halt und einen Sinn in diesem Leiden, wir verstehen Gott als einen, der Trost und Sinn schenkt.

Daran wurde oft kritisiert, dass religiöse Menschen manchmal zu schnell Antworten haben, wo doch die Fragen schon so unheimlich kompliziert sind. Du muss plötzlich eine einzige große Antwort wie „Gott liebt dich trotzdem“ für alle Zumutungen des Lebens herhalten.

Politisch haben die Sozialisten besonders die christliche Religion so verstanden. Im Sinne von: Auf gesellschaftliche Probleme finden sich religiöse Antworten, die die Menschen ruhigstellen und von der Revolte abhalten.

Unsere Religiosität hätte dann also das Ziel, die Unruhe zu beruhigen.

Das Gegenteil dieser Sicht wäre Religion als Kontingenzeröffnungspraxis.

Das bedeutet ganz grob gesprochen, dass Religionen dazu beitragen, die Unverständlichkeit der Welt offen zu halten. Oder anders: So verstanden kleistert Religion die Konflikte und offenen Brüche der Welt nicht zu, sondern zeigt gerade erst auf die Unzulänglichkeiten und unsere Grenzen.

Damit legt Religion den Finger in die Wunden, weil sie zeigt, wie wenig berechenbar unsere Welt ist. Religiöse Menschen wissen um das große Geheimnis Gottes und sind angesichts des Glaubens an einen guten und gerechten Gott von seiner Unverständlichkeit noch einmal besonders herausgefordert.

Politisch kann dieses Verständnis von Religion das Aufrütteln zur Tat bedeuten und damit auch einen starken sozialen Einsatz in der Welt rechtfertigen.

Nach diesem Verständnis ist Religion Unruhestifterin.

Aber wann ist Religion, wann ist unsere Glaubenspraxis wichtig, um Unruhe zu beruhigen und einzuhegen – und wann wiederum muss sie uns wachmachen und die Unruhe gerade erst wecken?

Im Evangelium hatten wir von Jesus gehört, der sagt, dass er Feuer auf die Erde bringen wolle und auch darüber hinaus Spaltung und alle mögliche Unruhe verursachen werde (Lk 12,49ff)

Jesus hat in sich beträchtliche Spannung gespürt und war selbst voller Unruhe und in Erwartung der Herrschaft Gottes (des „Himmelreiches“), von der er so oft sprach. Dafür erschien ihm auch die Spaltung legitim. Das Feuer soll wachrütteln.

Ich bin überzeugt: Es gibt auch heute Zeiten und Situationen, da braucht die Welt einen Weckruf – sei es in der Klimakatastrophe, sei es im Krieg Russlands gegen die Ukraine und besonders bei der aktuellen Sprengung des Kachovka-Staudamms mit seinen fürchterlichen Folgen, sei es bei Fragen wie Erziehung und Pflege. Christinnen und Christen können mit ihrer spezifischen Motivation auf verborgene oder versteckte Probleme hinweisen. Und Unruhe schaffen.

Das ist eine mögliche notwendige Unruhe. Aber auch in konkreten religiösen Fragen kann Unruhe etwas Gutes bedeuten: Augustinus beginnt seine religiöse Autobiographie mit dem Gebet zu Gott: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“

Es gibt also auch eine heilsame Unruhe, die uns Menschen überhaupt erst bewegt, uns auf den Weg zu Gott zu machen, eine Sehnsucht und einen Wunsch nach Mehr, von dem der Kirchenvater spricht. Wir sollen nicht bei uns selbst sitzen bleiben, sondern aufbrechen zu ihm hin.

Das sind sie also, die wichtigen, die notwendigen Unruhen – sie wollen uns wachrütteln zum Einsatz für das Gottesreich, für die Krisen in der Welt, aber auch wach machen für Gott selbst.

Daneben stehen die Unruhen, die uns ängstigen oder sogar krank machen können. Vielleicht ähnlich der Unruhe, die ich am Anfang beschrieben habe – diese Unruhen gehen einher mit Angst vor Kontrollverlust, mit Zukunftssorgen, mit Panik oder Hilflosigkeit.

Das sind Unruhen, von denen ich glaube, dass Gott uns mittelfristig von ihnen befreien möchte – hier wird Religion als Kontingenzbewältigungspraxis wichtig.

Denn es gibt natürlich auch Zeiten und Situationen, in denen wir Trost brauchen. Dann sehnen wir uns nach Frieden und Ruhe, hoffen auf Gottes Güte und liebevolle Nähe.

Das ist der andere Jesus, den wir auch kennen, der Jesus, der sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28)

Nicht der Jesus, der unter dem kommenden Gottesreich das Gericht sieht, an dem sich alle scheiden, sondern der, der aufrichten und trösten will. Auch vom Kirchbesuch erwarten sich ja viele einen Abstand von den Zumutungen der Welt mit einer schönen frommen Predigt – und nicht, dass sie schon wieder mit Problemen konfrontiert werden. Und ist das nicht auch legitim?

Es tut gut, dass Jesus nicht nur einer ist, der unser Leben in Unruhe bringen will, sondern uns auch Ruhe und Atem gönnt.

Aber das stellt auch an uns die Frage:

Wir sind aufgefordert, die Zeiten richtig zu lesen, die Situationen richtig einzuschätzen, wenn es darum geht, unsere Mitmenschen in eine gute Unruhe zu versetzen, sie herauszufordern und ihnen vielleicht eine neue  Bewegung zu geben.

Anderen hilft dagegen vielleicht unser Trost, ein gemeinsames Gebet, ein Wort der Hoffnung.

Ich habe fünf Jahre im Gefängnis als Seelsorger gearbeitet und dort stand ich mit den KollegInnen immer wieder im Austausch über diese Frage: Sollten wir die Inhaftierten zur Umkehr aufrütteln und unruhig machen, wenn sie sich einrichten in ihrem Selbstverständnis als Kriminelle – oder sollen wir sie in der Krisensituation Knast nicht lieber trösten und ihnen gut zusprechen?

Je nach Situation wird man sicher anders entscheiden zu haben – und das holzschnittartige Entweder-Oder ist ja auch nicht unbedingt realistisch, oft sind es Grauzonen, in denen wir uns bewegen.

Ich wünsche euch jedoch, dass ihr das gut unterscheiden könnt, wem wann und wie mit Kontingenzeröffnung oder Kontingenzbewältigung zu helfen ist.

Und ich wünsche euch auch, dass Gott euch mit heilsamer Unruhe zur rechten Zeit beschenkt.

Aber auch mit heilsamer Tröstung, wenn ihr euch in unheilvoller Unruhe verstrickt habt.

Gott segne unsere Unruhe und unsere Ruhe!

Into The Unknown – 1. Unsagbares

Predigt von P. Max Cappabianca OP in der KSG Berlin am 04.06.2023

Der Glaube: Mythos oder hard facts?

Predigt von P. Max Cappabianca OP in der KSG Berlin am 21.5.2023

Der Bericht von der Himmelfahrt Christi ist nicht der einzige Wunderbericht der Bibel, den man kaum wörtlich nehmen kann. Noch viel mehr gilt das für manche Wunderberichte oder die Jungfrauengeburt. Bedeutet dies, dass die biblischen Berichte immer nur „symbolisch“ zu verstehen sind? P. Max plädiert dafür, die Botschaft des Evangeliums nicht zu spiritualisieren und zu erkennen, dass es beim Thema „Erlösung“ um unsere Welt geht – und keine andere sonst.

Liebe Schwestern und Brüder,

Der Bericht von der Himmelfahrt Christi ist nicht der einzige Wunderbericht der Bibel, den man kaum wörtlich nehmen kann. Noch viel mehr gilt das für manche Wunderberichte oder die Jungfrauengeburt. Bedeutet dies, dass die biblischen Berichte immer nur „symbolisch“ zu verstehen sind? P. Max plädiert dafür, die Botschaft des Evangeliums nicht zu spiritualisieren und zu erkennen, dass es beim Thema „Erlösung“ um unsere Welt geht – und keine andere sonst.

Liebe Schwestern und Brüder,

am vergangenen Donnerstag haben wir das Fest Christi Himmelfahrt gefeiert. Die Lesung, die da aus der Apostelgeschichte vorgetragen wird, schildert sehr realistisch, wie Jesus vor den Augen seiner Jünger*innen in den Himmel aufsteigt. In der Barockzeit hat das die Menschen dazu inspiriert, das auch wirklich nachzuspielen. Es wurden unter großem Trara kleine Jesus-Statutetten vom Altar aus zur Kirchendecke gezogen. Vielleicht habt ihr solche Darstellungen in den Social Media gesehen. Da gibt’s immer wieder Videos von dem Spektakel. „Beam me up, Scottie!“ Möchte man da am liebsten sagen!

Nun vermute ich mal, dass die meisten unter euch sich nicht vorstellen, dass Jesus wie so eine kleine Rakete in den Himmel aufgefahren ist. Wir sind es gewohnt, biblische Wundergeschichten nicht allzu wörtlich zu nehmen. Und in den Predigten wird dann meist versucht, eine symbolische Interpretation zu liefern. Bei der Himmelfahrt liegt nahe es mit Reinhard May zu versuchen: Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, oder so ähnlich…. Ich gebe zu, dass Theologietreibende Meister*innen im symbolischen Uminterpretieren sind. Müssen wir auch, denn wenn man die Bibel allzu wörtlich sind, kommen wir bekanntlich in Teufels Küche.

Ein anderes Beispiel für so ein symbolisches Bild ist die Jungfrauengeburt. In der Bibel steht ja, dass Maria schwanger wurde, ohne dass sie Sex mit ihrem Verlobten Joseph hatte. Früher war selbstverständlich, das wörtlich zu nehmen. Heute glaubt das fast keiner mehr, und man versucht, das anders zu interpretieren. Ähnliches gilt für die Heilungswunder Jesu – auch die werden allegorisch gedeutet.

Letztlich gilt diese auch für das größte Wunder schlechthin: Die Auferstehung! Manche Theolog*innen interpretieren die auch „nur“ symbolisch. Festgemacht wird das am „Leeren Grab“. Damit wir an die Auferstehung glauben können: Muss dazu das Grab leer sein oder nicht? Vielleicht habt ihr euch diese Frage noch nicht gestellt. Aber die Frage ist spannend? Woran mache ich meinen Glauben fest? Geht es ausschließlich um eine innere Überzeugung, oder braucht es auch äußere, objektive Fakten, um dem Glauben eine Basis zu geben?

Das biblische Zeugnis ist nicht eindeutig. Einerseits heißt es bei Paulus klipp und klar: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.“ (1 Kor 15,13-14). Andererseits sind zum Beispiel die Berichte über die Auferstehung so widersprüchlich, dass man strenggenommen nicht von objektiven Fakten sprechen kann!

Wie isses aber nun? In der Theologie ist das jedenfalls schon lange Gegenstand der Debatte. Dahinter steckt die philosophische Frage, welches Bild ich von der Wirklichkeit habe.

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass ein Glaube, der noch spiritualisiert ist, der nur alles nur noch symbolisch versteht, wo jede biblische Begebenheit als Allegorie für menschliche Erfahrungen herhalten miss, letztlich beliebig zu werden droht. Es war schon immer das Besondere der jüdisch-christlichen Tradition, dass sie das „Jenseitige“ immer im Diesseits verankert hat. Das meint Inkarnation, Fleischwerdung Gottes. Durch dieses drastische Wort wollte man deutlich machen, dass die Erfahrungen, um die es den Jüngerinnen und Jüngern geht nicht nur rein spirituell sind, sondern etwas mit unserer Welt an sich zu tun haben.

Wenn wir also „erlöst“ zu werden hoffen, dann ist das nicht nur eine „innere Erlösung“, sondern die Wirklichkeit als ganze muss diese Erlösung zeigen. Deswegen hat der Glaube nicht nur eine individuelle und soziale Dimension, ja mit Blick auf uns Menschen auch eine politische!

Nun hat Jesus an verschiedener Stelle deutlich gemacht, dass seine „Herrschaft“ nicht von dieser Welt ist, und deswegen nicht verwechselt werden kann mit der Macht eines politischen Herrschers. Und trotzdem dürfen uns diese Äußerung nicht zu der Annahme verleiten, dass Jesus nachfolgen, eigentlich nur bedeutet, nichts mehr mit dieser Welt zu tun zu haben und sich ins Jenseits zu fliehen.

Nun ist die Auferstehung selbst Dreh- und Angelpunkt. Aber auch die weniger wichtigen „Fakten“ des Evangeliums wie zum Beispiel die Wunder werden meines Erachtens missverstanden, wenn wir sie nur spiritualisieren. In diesen Geschichten geht es natürlich auch um innere Heilung, aber gleichzeitig wird da die Vision einer Welt aufgetan, die im Hier und Jetzt „heil“ ist.

Was bedeutet das für uns?

Ich möchte jetzt kein Plädoyer für Wunderglauben machen, noch will ich euch die Jungfrauengeburt wie Sauer Bier verkaufen! Ich möchte uns alle einladen, das Handeln Gottes nicht nur tief in meinem Inneren zu verorten, oder in einem fernen Jenseits, sondern im Hier und Jetzt, in unserer Geschichte, in unserer Gemeinde, in unserer Stadt Berlin, in unserer Welt. Damit wir damit rechnen, dass Gott in meiner und in unserer Wirklichkeit handelt und erfahrbar ist! Amen.

Glaube und Zweifel – Studentische Predigt von Georg

Warum zum Glauben der Zweifel gehört, darüber macht sich Georg in seiner studentischen Predigt Gedanken. Der Glaube vermittelt ein unbedingtes Getragensein. Dadurch seien die Menschen dem Zweifel nicht schutzlos ausgeliefert. Darauf könne man vertrauen. Und dieses Vertrauen gebe den Menschen den Rückhalt, kritisch um die richtigen Antworten ringen zu können.

Liebe Gemeinde,

vielleicht stell ich mich erstmal kurz vor: Ich heiße Georg, bin 22 Jahre alt und studiere Physik. Eigentlich ist das lustig, dass man sich als Student immer erstmal so vorstellt: “Name-Alter und dann noch das Studienfach”. Das klingt immer, als wär das Fach, das man sich gesucht hat, genauso wichtig wie der eigene Name und das Alter. Als würde man dadurch den eigenen Charakter kurz einordnen wollen.

Ich denke, dass viele Studierende sich zu Beginn des Studiums einen gewissen “Berufsstolz” antrainieren. Man identifiziert sich dann gerne mit dem eigenen Studienfach: Man mag das, was man lernt. Man freut sich über die Fähigkeiten, die man erwirbt. Und auch darüber, dass man andere Schwerpunkte setzt als andere Studierende. Mir zumindest geht das so. In der Physik z.B. erfreut man sich daran, dass man streng ist. Nicht ganz so erbarmungslos streng wie Mathematiker*innen, aber doch immer sehr kritisch. Es gibt kein freundschaftliches Vertrauen, wenn jemand seine oder ihre Rechnung vorstellt.

Klassischerweise fangen bei uns in der Vorlesung die wirklich schlauen Studierenden irgendwann an, die mathematischen Umformungen an der Tafel nachzurechnen. Noch während der Dozent oder die Dozentin vorträgt, wollen sie wirklich im Detail überprüfen, ob das alles so stimmt. Manchmal finden sie dann ein fehlendes Vorzeichen oder irgendwelche falschen Indices und teilen das dann zufrieden mit.

Ich denke, es gehört ein bisschen zum Fach, dass man an alles eine gewisse Grundskepsis heranträgt. Da fallen dann so Sätze wie:

“Gibt es hier nicht eigentlich einen Widerspruch zu dem Ergebnis aus der letzten Vorlesung?”

“Wieso darf man da denn überhaupt diese Näherung machen?”

“Und dort in Zeile 15. Müsste man diese eine Aussage nicht erst noch beweisen?”

Diese Einstellung ist vor allem auch notwendig, wenn man die eigenen Lösungen betrachtet. Ohne dieses Zweifeln an Schlussfolgerungen gibt man sich mit falschen Antworten zufrieden, die nur oberflächlich richtig erscheinen.

Man macht es sich zu einfach, wenn man nicht zweifelt.

Mir gefällt diese Herangehensweise sehr, diese Grundskepsis. Ich mag den Gedanken, dass man keiner Autorität und auch nicht sich selbst einen Vertrauensvorschuss gönnt. Dass das Zweifeln zum Denken dazugehört.

Aber manchmal unterhalte ich mich mit Kommiliton*innen und habe das Gefühl, dass diese Skepsis noch viel weiter reicht. Dass sie auch auf Themenfelder angewandt wird, die weit von Naturwissenschaften entfernt liegen. Beispielsweise treffe ich manchmal auf Unverständnis, wenn ich erzähle, dass ich katholisch bin.

Beim Smalltalken auf einer Feier, hat mir ein Kommilitone mal dargelegt, weshalb er nicht gläubig ist. Er meinte, er würde keinen Aussagen zustimmen wollen, die er nicht beweisen kann. Theologische Aussagen sind aus dieser Perspektive ziemlich dramatisch: Sie sind nicht mit dem Ziel formuliert, beweisbar oder widerlegbar zu sein.

Die Zielsetzung meines Kommilitonen hat etwas sehr Verlockendes. Ab und zu bemerke ich, wie ich dieses Argument selber anwende. Zwar nicht so im Grundsatz meines Glaubens, aber doch öfter ‘mal wenn ich über Religion nachdenke. Oder wenn ich dabei zuhören darf ,wie andere über Religion nachdenken.

Ich sitze dann in der Kirche, höre eine Predigt. Und dann denke ich mir, “Na das ist aber jetzt nicht so richtig stichhaltig begründet.” oder auch „Das ist ja gerade total subjektiv! Wie kann ein Argument denn überhaupt so richtig tragen, wenn es sich auf subjektives Empfinden stützt?“

Manchmal frage ich mich dann: „Wie kann ich mich durch ein Argument überzeugen lassen, wenn ich das gar nicht objektiv überprüfen kann.“ oder vielleicht sogar: „Was hält mein Glaube überhaupt aus, wenn ich ihn nicht ganz und gar überzeugend begründen kann.“

Und ein bisschen so stelle ich mir den Thomas aus dem Evangelium vor. Etwas überspitzt, könnte er sagen: “Wie Auferstehung? So richtig? Wieso soll ich ihm das glauben? Das möcht ich irgendwie nachprüfen, irgendwie fassen können.”

Für mich hat dieser Auszug aus dem Johannesevangelium etwas sehr Tröstliches. Thomas war als Apostel ganz nah am Wirken Jesu dran. Er hat alles, was wir nach 2000 Jahren glauben, direkt und unmittelbar erlebt. Wenn selbst er Zweifel hat, wieso sollen wir dann nicht auch zweifeln dürfen? Das ist kein Evangelium, das uns unsere Fehler und unsere Beschränktheit von oben herab vorwirft. Es ist ein Evangelium auf Augenhöhe, das nicht beschönigt, sondern uns mit unseren Schwächen annimmt. Für mein Selbstverständnis als Christ ist das ganz zentral: Ich darf zweifeln. Das gehört zum Glauben dazu. Deswegen heißt es ja auch Glauben und nicht Wissen.

Vielleicht kann man hier noch eine Überlegung hinzufügen. Zweifel und Skepsis ist etwas ganz Menschliches – aber eben nicht im Sinne einer Unvollkommenheit. Gott hat uns Menschen mit freiem Willen geschaffen. Und dieser freie Wille soll benutzt werden, mit allem, was dazugehört. Mit allen Fragen, allem Hinterfragen und eben auch mit Zweifeln.

Ich bin überzeugt, dass Zweifel zu einer ungemein starken Triebfeder werden kann. Er kann uns wachhalten, uns nicht mit vorläufigen Antworten zufrieden zu geben. Wo wäre die Menschheit, und vor allem auch die Christenheit, wenn nie jemand gezweifelt hätte? Wenn nie jemand aus starkem inneren Antrieb gesagt hätte: „Ganz so wie es jetzt ist, soll es doch wohl auch nicht sein!“

Ein beeindruckendes Beispiel für so einen produktiven Zweifel sind für mich die vielen Laien und Geistlichen, die sich kritisch für die Kirche einsetzen. Die offen ihren Zweifel an Lehrmeinungen zum Ausdruck bringen. Sie tun das nicht, weil sie ihren Glauben hinterfragen. Sie tun es, weil Sie Angst haben, an einer Institution zu verzweifeln, die diesen Glauben mittragen muss. Sie zweifeln, weil die Kirche ihnen viel bedeutet. Weil sie ihnen eben nicht egal ist.

Zweifel oder Kritik kann also auch ein Ausdruck von Zugewandtheit und Nähe sein. Mit der Kirche ist das ein bisschen wie bei menschlichen Beziehungen: Nur, was einem völlig egal ist, hinterfragt man nicht mehr. Wenn einem etwas am Herzen liegt, dann kann man zweifeln. Diesen Zweifel kann man der Kirche zumuten. Dieser Zweifel kann uns als Gemeinschaft von Gläubigen voranbringen.

Man muss hier aufpassen, dass man es sich mit dem Begriff nicht zu leicht macht. Es gibt schwere Krisen. Das sind dann Situationen, in denen man dem Zweifel nichts Konstruktives abgewinnen kann. Wenn ein Mensch auf einer ganz grundlegenden Ebene Zweifel empfindet, kann man das nicht poetisch umdeuten. Man wird dem Menschen nicht gerecht, wenn man diesen Zustand irgendwie verklärt. Es liegt eine Last auf dem Zweifelnden, die ist sehr real und die hat nichts Erbauliches.

Das ist hart, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber gerade in diesen ganz dunklen Momenten ist Gott bei uns. Für mich ist das ein ganz zentraler Glaubensgrundsatz. Wir sind in den wirklich schwierigen Momenten nicht allein gelassen. Es gibt da ein Netz, das fängt uns auf. Vielleicht ist es manchmal nicht offensichtlich oder erst im Nachhinein erkennbar. Aber wir sind in diesen Situationen getragen.

Das soll nicht heißen, dass das ursprüngliche Problem verschwindet oder sich dadurch alles ganz toll anfühlt. Die Krise bleibt eine Krise. Aber es ist ganz wichtig zu wissen, dass man sie nicht alleine bestehen muss. Man muss nicht alles allein aus eigener Kraft lösen können.

Dieses unbedingte Getragensein ist das große Geschenk, das Gott den Menschen macht. Wir sind dem Zweifel nicht schutzlos ausgeliefert. Darauf können wir Vertrauen. Und dieses Vertrauen gibt uns den Rückhalt, kritisch um die richtigen Antworten ringen zu können. Amen.